Strafrecht im Unternehmen: Verbandsgeldbuße und Verbandssanktionen

In Deutschland gibt es (noch!) kein Unternehmensstrafrecht. Nach der geltenden Rechtslage ist es jedoch möglich, eine sogenannte Verbandsgeldbuße gegen ein Unternehmen zu verhängen. Dies erfolgt über eine Norm aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 OWiG.

Die Instrumente des Ordnungswidrigkeitenrechts, d.h. insbesondere die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG, werden indes für die schwierige und komplexe Materie der Wirtschaftskriminalität zunehmend als ungeeignet empfunden. Es ist daher zu erwarten, dass in den nächsten Monaten ein eigenes Strafrecht für Unternehmen geschaffen wird, wie es in anderen Ländern bereits existiert.

Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde im August 2019 vom Bundesjustizministerium an die Fachwelt verschickt und wird seitdem intensiv diskutiert. Ein aktualisierter „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ wurde vom Bundesjustizministerium im April 2020 veröffentlicht. Es ist zu erwarten, dass dieser Entwurf noch im Laufe dieser Legislaturperiode im Wesentlichen umgesetzt wird.

Hinweis:

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I. Aktuelle Rechtslage: § 30 OWiG

Derzeit sind „strafrechtliche“ Sanktionen gegen juristische Person nur nach § 30 OWiG über die sog. Unternehmens- bzw. Verbandsgeldbuße möglich.

Danach kann gegen juristische Personen eine „Strafe“ in Form einer Geldbuße verhängt werden, wenn eine ihrer Leitungspersonen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit (sog. Anknüpfungs- oder Bezugstat) begangen hat, die in einem Zurechnungszusammenhang zum Unternehmen steht. Voraussetzung dafür ist, dass Pflichten der juristischen Person oder des Verbandes verletzt worden sind oder eine Bereicherung der juristischen Person oder Personenvereinigung stattgefunden hat

Betroffene Unternehmensformen sind alle juristische Personen, d. h. die GmbH, die Unternehmergesellschaft (UG), die Aktiengesellschaft (AG), die Genossenschaft sowie der eingetragene Verein. Zudem wer- den gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 OWiG auch nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften umfasst, d. h. auch die OHG, die KG, die GbR und die Partnerschaftsgesellschaft.

Anknüpfungspunkt ist eine Verletzung der Aufsichtspflicht im Unternehmen gemäß § 130 OWiG.

  • 130 Abs. 1 OWiG lautet:

Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen.

Die Aufsichtspflicht trifft den Inhaber des Betriebs bzw. Unternehmens. Der tatsächliche Inhaber kann sich seiner Verantwortung weder durch Delegation entziehen, noch dadurch, dass er sich als „Strohmann“ ausgibt. In größeren Unternehmen muss die Aufsichtspflicht auf verschiedene Hierarchieebenen verteilt werden. Regelkonform geschieht dies durch klare, im Voraus festgelegte Zuständigkeiten, die durch einen Organisationsplan zu dokumentieren sind.

Beispiele für Anknüpfungstaten, die der Bereicherung des Unternehmens dienen, sind u.a. Steuerhinterziehung zu Gunsten des Unternehmens oder auch Betrugs- und Korruptionstaten. Auch Verstöße gegen allgemeine Compliance-Pflichten, wie sie beispielsweise im Geldwäsche-Gesetz (GwG) geregelt sind, können zur Unternehmensgeldbuße führen (neben den im GwG aufgeführten Bußgeld-Tatbeständen).

Im Bußgeldverfahren können über die Ahnung der Verstöße auch die finanziellen  Vorteile  abgeschöpft  werden, die das Unternehmen aus der Tat erlangt hat. Niemand soll wirtschaftliche Vorteile aus der Straftat behalten („crime must not pay“).

Die Vermögensabschöpfung kann ein Unternehmen deutlich härter als die verhängten Bußgelder treffen. Gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG fallen Geldbußen von bis zu 10 Millionen Euro an, wenn eine vorsätzliche Straftat begangen wurde. Bei einer fahrlässigen Straftat sind es 5 Millionen Euro. Derartige summenmäßigen Begrenzungen der Bußgelder gelten bei der Vermögensabschöpfung nicht. In der Vergangenheit sind in deutschen Unternehmen bereits Beträge in der Größenordnung von 100 Millionen Euro abgeschöpft worden.

II. Zukünftiges Unternehmensstrafrecht: Verbandssanktion

Im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode vom 07.02.2018 haben die Regierungsparteien vereinbart, das Unternehmenssanktionenrecht zu reformieren. Um begriffliche Streitigkeiten zu vermeiden wird ein zukünftiges Unternehmensstrafrecht voraussichtlich „Verbandssanktionenrecht“ heißen. Ziel ist eine effizientere Sanktionierung von Delikten im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts.

Wie bei § 30 OWiG sollen als Anknüpfungstaten für Unternehmenssanktionen verschiedene Straftaten in Betracht kommen, d.h. es kommt sowohl eine Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 130 OWiG als Anknüpfungstat in Betracht, als auch allgemeine Straftaten.

Anders als nach den bisherigen Regelungen des OWiG soll für das Verbandssanktionenrecht zukünftig das Legalitätsprinzip gelten. Allerdings sollen als Ausgleich auch Möglichkeiten zur Einstellung aus Opportunitätsgründen entsprechend §§ 153 ff. StPO eingeführt werden.

Eine der größten Herausforderungen für den Gesetzgeber ist das Verfahrensrecht. Bisher befasst sich nur eine einzige Norm der Strafprozessordnung, nämlich § 444 StPO, mit der Festsetzung von Geldbußen gegen Unternehmen. Die Schutzfunktion des Strafprozesses reicht nur sehr eingeschränkt. Das Unternehmen ist bisher im Verfahren nur „Beteiligter“ und nicht „Beschuldigter“.

Mit der Jones-Day-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2018 (BvR 1405/17; 2 BvR 1780/17; 2 BvR 1287/17; 2 BvR 1583/17; 2 BvR 1562/17) wurde klargestellt, dass Unternehmen auch Beschuldigte sein oder zumindest eine sogenannte beschuldigtenähnliche Verfahrensstellung haben können. Eine derartige Stellung ist erforderlich um einen besonderen Beschlagnahmeschutz beim Rechtsanwalt gemäß § 97 StPO zu begründen. Derzeit können Rechtsanwälte, die Unternehmen beispielsweise als externe Vertrauensanwälte zur Korruptionsprävention („Ombudsleute“) oder im Rahmen von internal investigations vertreten, keinen Schutz vor Durchsuchung und Beschlagnahme in der Anwaltskanzlei bieten.

Voraussichtlich wird in einem künftigen Unternehmenssanktionenrecht das Problem der internal investigations dahingehend gelöst werden, dass bei der unternehmensinternen Befragung von Arbeitgebern besondere Schutzrechte zu gewährleisten sind. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare im Verhältnis von Arbeitnehmern zu Arbeitgebern nicht. Hierauf sollen sich Bürger nur gegenüber staatlichen Ermittlungsbehörden berufen können. Entsprechende Schutzstandards werden jedoch voraussichtlich im Rahmen des Unternehmenssanktionenrechts einfach-rechtlich eingeführt werden. Dasselbe gilt voraussichtlich auch für das Recht der Arbeitnehmer, sich im Rahmen von internen Befragungen von einem Anwalt begleiten und vertreten zu lassen. Darüber hinaus wird der Gesetzgeber voraussichtlich einen Beschlagnahmeschutz für die Ergebnisse internen Untersuchungen schaffen, der nach der derzeitigen Rechtslage bzw. der Auslegungen der §§ 97, 160a StPO nicht gewährleistet ist.

Allerdings sollen dem Unternehmen Anreize zur Sachverhaltsaufklärung geschaffen werden – und zwar nicht nur zur Durchführung von internal investigations als solchen, sondern auch zur Herausgabe der Ergebnisse an die staatlichen Ermittlungsbehörden. Geschieht dies „freiwillig“, soll sich dies günstig auf die Höhe der Sanktion auswirken.

Das Gesetz folgt dabei einem Gedanken, den der BGH in der sogenannten „Panzerhaubitzen“ Entscheidung bereits formulierte: ….

BGH vom 9. Mai 2017 (1 StR 265/16)

„Für die Bemessung der Geldbuße ist von Bedeutung, inwieweit das Unternehmen seiner Pflicht genügt, Rechtsverletzungen aus seiner Sphäre zu unterbinden, und ein effizientes Compliance Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Nebenbeteiligte in der Folge des vorliegenden Strafverfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.“

Der Gefahr, dass das Unternehmen danach zu einer Art „Kronzeuge gegen die eigenen Arbeitnehmer“ wird, soll nach den gesetzgeberischen Vorstellungen durch die Schaffung entsprechender Auskunftsverweigerungsrechte bzw. Beweisverwertungsverbote vorgebeugt werden.

Mögliche Geldstrafen als Verbandssanktion gegen Unternehmen werden in Zukunft sehr viel höher ausfallen können, als dies bisher der Fall ist. Grundsätzlich soll sich die Höhe der Geldsanktionen an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientieren. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Mio. Euro Umsatz soll die Höchstgrenze bei 10 % des Umsatzes liegen. Damit orientiert sich der Gesetzgeber an der bisherigen Regelung des § 81 Abs. 4 S. 2 GWB.

Außerdem sollen neue Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden, wie beispielsweise den Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen, den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungsverfahren, das vorübergehende oder dauerhafte Verbot der Ausübung von Handelstätigkeit oder die vorübergehende und endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden. Ob diese zu einer Art „Todesstrafe für Unternehmen“ (Auflösung bzw. Zwangsverwaltung) führen kann, ist derzeit noch offen.

Insgesamt sollen eigene Strafzumessungsregeln für Unternehmen geschaffen werden. Auch hierbei knüpft das Gesetz voraussichtlich an den Grundgedanken an, dass es für die Bemessung der Sanktion von besonderer Bedeutung ist, ob effiziente Compliance-Maßnahmen umgesetzt wurden. Die Einführung von Compliance Managementsystemen wird damit auch für den Mittelstand zukünftig eine größere Bedeutung haben, als sie bisher schon hat.

Sanktionen sollen „auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden“. Der Gesetzgeber will sich folglich das amerikanische „naming and shaming“ zum Vorbild nehmen, wie es bereits beispielsweise in den §§ 123 WpHG, 60b KWG oder 75 GwG geregelt ist.