Das Unternehmensstrafrecht geht in eine neue Runde – Neuer Entwurf zum Verbandssanktionengesetz (VerSanG)

Nachdem das Bundesjustizministerium im August 2019 einen ersten „inoffiziellen“ Entwurf eines „Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (sogenanntes Verbandssanktionengesetz – VerSanG) vorgelegt hatte, wurde ein überarbeiteter Entwurf  eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ vom 20.04.2020 auf der Internetseite des Ministeriums vorgestellt. Verbände wurden aufgefordert, bis zum 12.06.2020 hierzu Stellung zu nehmen.

Hinweis: 

Unternehmensstrafrecht

1. Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft

Der Gesetzgeber hat im Windschatten der Corona-Aktivitäten die Vorlage für ein Unternehmensstrafrecht geliefert. Offenbar wurde innerhalb der Regierungskoalition Einigkeit darüber erzielt, den Entwurf zeitnah umzusetzen. Dafür spricht zum einen der „entschärfte“ Titel des Gesetzes, das nunmehr „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ heißen soll. Zuvor war noch von einem „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ die Rede.

2. Unterschiede zum Ordnungswidrigkeiten-Recht

Schon in der Begründung des letzten Entwurfs eines Gesetzes zur Verhängung von Verbandssanktionen ging der Gesetzgeber davon aus, dass die bestehende Rechtslage nicht ausreicht, um Unternehmen, aus denen heraus Straftaten begangen werden, angemessen zu bestrafen. Bisher konnten Geldbußen gegen Unternehmen nur nach § 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) geahndet werden. Abgesehen davon, dass hier Höchstgrenzen von 10 Mio. Euro gelten, die für internationale Konzerne als zu gering angesehen wurden, gilt bei Ordnungswidrigkeiten das sogenannte Opportunitätsprinzip. Das bedeutet, dass es bisher im Ermessen der jeweiligen Behörden lag, ob bzw. in welcher Höhe überhaupt Strafen gegen Unternehmen verhängt wurden. Dies führte bundesweit zu einer sehr uneinheitlichen Rechtsanwendung. Der Gesetzgeber sieht darin keine zeitgemäße Grundlage mehr für eine angemessene strafrechtliche Reaktion auf kriminelles Verhalten von Unternehmen und Verbänden.

3. Verbandssanktionengesetz (VerSanG)

Wie bereits im ersten Entwurf entschied sich der Gesetzgeber dafür, ein einheitliches, neues Gesetz zu schaffen, nämlich das Verbandssanktionengesetz (VerSanG). Damit wurde Alternativkonzepten aus der Wissenschaft, die es teilweise für ausreichend hielten, bestehende Einzelgesetze (beispielsweise die Strafprozessordnung – StPO, oder das Strafgesetzbuch – StGB) im Detail anzupassen, eine Absage erteilt. Das neue Gesetz ist als ein „großer Wurf in einem Guss“ angelegt. Gleichzeitig ist jedoch eine Vielzahl von Änderungen des materiellen und prozessualen Strafrechts vorgesehen. Diese dienen im Wesentlichen dazu, Klarstellungen zu vorzunehmen, die sich in den letzten Jahren in der Praxis der Strafverteidigung entwickelt hatten.

Ein besonderer Schwerpunkt des Konzepts liegt auf der Bestätigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches in der sogenannten Jones Day Entscheidung im Jahr 2019 klargestellt hatte, dass strafrechtliche Durchsuchungen und Beschlagnahmen in der Anwaltskanzlei keineswegs ausgeschlossen sind. Ein privilegierter Schutz für Verteidigungsunterlagen besteht nur bei Strafverteidigern, wenn das betroffene Unternehmen bereits als Beschuldigter im Sinne der strafrechtlichen Terminologie angesehen werden kann.

4. Keine „Todesstrafe“ für Unternehmen

Die Fassung des Gesetzes in dem Entwurf vom April 2020 unterscheidet sich von dem ersten Entwurf vom August 2019 nur in Details. Die meisten davon sind vor allem für die Fachwelt interessant. Eine plakative Änderung gegenüber der Ursprungsfassung ist der Wegfall der sogenannten „Todesstrafe für Unternehmen“. Die Möglichkeit, als schwerste Sanktion gegen ein Unternehmen dessen Auflösung gesetzlich zu erzwingen, wurde im nun vorliegenden Entwurf ersatzlos gestrichen.

Andere Änderungen sind eher klarstellender Natur. So wurde bezüglich des Anwendungsbereichs konkretisiert, dass das Gesetz für Verbände gilt, „deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist“. Anstelle des Begriffs „Verbandsstraftat“ wird nunmehr der Begriff „Verbandstat“ verwendet. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Diktion, bei der stets vermieden wurde, von einem „Unternehmensstrafrecht“ zu sprechen – obwohl es in der Sache genau darum geht.

5. Internal Investigations als zwingende Reaktion auf Unternehmens-Straftaten

Die wesentlichen Kernelemente des Unternehmensstrafrechts, wie es dem Gesetzgeber vorschwebt, bleiben erhalten. Insbesondere soll an der zentralen Bedeutung unternehmensinterner Untersuchungen (sog. internal investigations) festgehalten werden. Das bedeutet, dass auch nach dem aktuellen Entwurf die Strafverfolgung in die Verantwortung des Unternehmens gelegt wird. Wenn es zu Straftaten von Mitarbeitern kommt, wird das Unternehmen de facto gezwungen, diese vollständig aufzuklären – auch zum Preis, die eigenen Mitarbeiter „verraten“ zu müssen.

Dieser Mechanismus wurde durch die Neufassung des Entwurfs noch einmal unterstrichen. Während in der alten Fassung noch davon die Rede war, dass bei ordnungsgemäß durchgeführten internen Ermittlungen die Verbandssanktion gemildert werden „kann“, ist nun davon die Rede, dass dies geschehen „soll“.

Die Art und Weise, wie derartige interne Untersuchungen (sogenannte internal investigations) auszusehen haben, bleibt gegenüber der letzten Fassung des Gesetzesentwurfs weitestgehend unverändert. Klargestellt wurde, dass es eine zeitliche Grenze gibt, bis wann ein Unternehmen sich für eine Kooperation entscheiden kann.

6. Privatisierung des Strafrechts

Mit der Entscheidung, den Unternehmen bei der Aufklärung und Prävention von Straftaten deutlich mehr Verantwortung aufzuerlegen, als es bisher der Fall war, verfolgt der Gesetzgeber ein Konzept der „Privatisierung der Strafverfolgung“. Ähnliche Tendenzen waren bereits durch die Neufassung des Geldwäschegesetzes im Jahr 2017 zu beobachten, das zum 01.01.2020 noch einmal verschärft wurde.

Die Aufklärung von Straftaten wird in die Hände Privater gelegt – nämlich der Unternehmen.  Dieses soll dem Staatsanwalt fertige Ergebnisse präsentieren. Geschieht das nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in ausreichendem Umfang, hat das Unternehmen mit extrem hohen Strafen zu rechnen.

Wer nicht mitspielt, wird zur Kasse gebeten.

7. Fazit: Hohe Geldbußen als „Dummen-Steuer“ für Unternehmen

Eine Rolle für die Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens dürften die leeren Staatskassen nach Corona spielen, die es wieder aufzufüllen gilt. Bei ungenauen Angaben droht bei der Beantragung von Corona-Soforthilfen eine Strafbarkeit wegen Subventionsbetrugs. Es besteht damit durchaus die Gefahr, dass die nachträgliche Überprüfung der Corona-Subventionen zu einem ersten größeren Anwendungsbereich des neuen Unternehmensstrafrechts wird.

Die Tendenz, Unternehmen, die es verpassen, rechtzeitig auf die gesetzlichen Anforderungen zu reagieren, stärker zur Kasse zu bitten, wurden zuletzt verschärft. So werden hohe Bußgelder gegen Unternehmen nicht nur beispielsweise bei Verstößen gegen die DSGVO verhängt, sondern auch bei Verstößen gegen das Geldwäsche-Gesetz. Anfang 2020 kam es zu einer Bußgeld-Welle wegen fehlender Eintragungen ins Transparenzregister. Die Höhe der zuletzt verhängten Unternehmens-Geldstrafen, die viele Geschäftsführer und Vorstände kalt erwischt hat, lässt erwarten, dass die Ermittlungsbehörden auch bei der Verhängung von Unternehmenssanktionen heftig zulangen.

Unternehmen, die nicht rechtzeitig durch angemessene Compliance-Vorkehrungen reagieren, wird durch die Verhängung von Unternehmensgeldbußen de facto eine Art „Dummen-Steuer“ auferlegt.