Ordnungswidrigkeiten

Als Ordnungswidrigkeit bezeichnet man im deutschen Recht eine Rechtsverletzung, die nicht den strafbedürftigen und strafwürdigen Unrechtsgehalt einer Straftat erreicht, aber dennoch ahndungswürdig erscheint. Sie wird nicht mit einer Kriminalstrafe bedroht, sondern zieht als Rechtsfolge in der Regel eine Geldbuße nach sich (§ 1 Abs. 1 OWiG). Der Großteil des Ordnungswidrigkeitenrechts ist dem Verwaltungsrecht zuzuordnen (Verwaltungssanktionen), jedoch sind auch viele Gebiete des Nebenstrafrechts mit Vorschriften zu Ordnungswidrigkeiten ausstaffiert (z.B. das Straßenverkehrsrecht, das Betäubungsmittelrecht, das Lebensmittelrecht, das Melderecht usw.).

1. Inhalt und Ablauf eines OWi-Verfahrens

Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist dem materiellen Strafrecht bis auf einige dogmatische Spitzfindigkeiten (z.B. die Einheitstäterschaft, § 14 OWiG) nachgebildet. Allerdings finden sich auch prozessuale Vorgaben im OWiG, die StPO als Verfahrensordnung findet nur ergänzende Anwendung (§ 46 OWiG). Daher sind auch im Bußgeldverfahren Durchsuchungen oder Sicherstellungen möglich. Stellt eine Handlung gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit dar, so hat das Strafgesetz Vorrang (§ 21 OWiG) und es ist dann die Staatsanwaltschaft zuständig (§ 40 OWiG).

Abweichend sind die Rechtsfolgen und die handelnden Akteure. Die Geldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts (§§ 65 ff. OWiG) als Verwaltungssanktion stellt keine echte Kriminalstrafe dar, da diese der Judikative vorbehalten ist. Die Geldbuße wird in der Regel von Behörden (§ 35 OWiG) verhängt. Anders als im Strafrecht, in dem die Verfolgung von Straftaten aufgrund des Legalitätsgrundsatzes zu den Pflichten der Staatsanwaltschaft gehört, findet bei Ordnungswidrigkeiten das Opportunitätsprinzip Anwendung. Dadurch steht die Verfolgung im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörde.

Das OWiG selbst enthält als häufig einschlägige Tatbestände u.a. die falsche Namensangabe (§ 111 OWiG: besondere Bedeutung auch für die Aussage im Ermittlungsverfahren), Unzulässiger Lärm (§ 117 OWiG, Geldbuße bis 5000 €), Belästigen der Allgemeinheit (§ 118 OWiG; nicht zu verwechseln mit der „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, das eine Strafbarkeit nach § 183a StGB nach sich zieht), Halten gefährlicher Tiere (§ 121 OWiG) und Vollrausch (§ 122 OWiG).

Viele Bußgeldkataloge unterscheiden ausdrücklich zwischen Erst- und Wiederholungstätern, um im Wiederholungsfall strenger zu sanktionieren.

Die Geldbuße beträgt in der Regel zwischen fünf Euro und, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, eintausend Euro (§ 17 Abs. 1 OWiG).

2. Besonderheiten bei Unternehmen

Das Ordnungswidrigkeitenrecht kann jedoch auch sehr empfindliche Sanktionen nach sich ziehen. Dies wird insbesondere beim sog. „Unternehmungsstrafrecht“ (§§ 9, 30, 130 OWiG) deutlich. Die Geldbuße bei § 30 Abs. 2 OWiG beträgt im Falle einer vorsätzlichen Straftat bis zu zehn Millionen Euro, im Falle einer fahrlässigen Straftat bis zu fünf Millionen Euro.

Im Bußgeldverfahren können über die Ahnung der Verstöße auch die finanziellen Vorteile abgeschöpft werden, welche das Unternehmen aus der Tat erlangt hat. Der § 30 OWiG stellt die finale Gewinnabschöpfungsregelung dar. Das Recht der Vermögensabschöpfung folgt einem eisernen Leitsatz: Ein Straftäter (hier: die juristische Person / der Verband) soll keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Straftat ziehen dürfen („crime must not pay“). Vermögensabschöpfung stellt eine Form staatlicher Übelszufügung durch Enteignung dar. Die Einziehung bzw. Abschöpfung von Taterlösen kann im Einzelfall noch härter treffen als die eigentliche Geldbuße:

Im Jahr 2007 hatte z.B. die Unternehmensgruppe Siemens eine Geldbuße von 201 Millionen Euro wegen Verfehlungen in ihrer Telekommunikationssparte Com aufgebrummt bekommen. Dabei ging es „nur“ um eine Ordnungswidrigkeit, nämlich wegen Verletzung von Überwachungspflichten. Die Sanktion betrug damals eine Million Euro; die anderen 200 Millionen dienten der Abschöpfung des unrechtmäßigen Gewinns. In einem weiteren Bußgeld-Verfahren gegen Siemens konnte die Staatsanwaltschaft München auf diese Weise ein Bußgeld in Höhe von sage und schreibe 395 Mio. € festsetzen.

Im Frühjahr 2020 kam es zu einer Bußgeldwelle gegen Unternehmen, die ihren Pflichten zur Eintragung in das Transparenzregister nicht nachgekommen sind, mit zum Teil empfindlichen Geldbußen.

Die Abschöpfung ist demnach ein scharfes Schwert: Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Schlampigkeiten bei der Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems nicht nur mit Bußgeldern in Höhe von inzwischen bis zu 10 Mio. € geahndet, sondern auch die finanziellen Vorteile, die sie durch das Unterlassen der erforderlichen Sorgfaltspflichten erlangt haben, abgeschöpft werden können.

3. Rechtsbehelfe

Gegen den Bußgeldbescheid ist der Einspruch zulässig (§ 67 Abs. 1 OWiG). Daraufhin kann die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid entweder zurücknehmen oder die Sache an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, die sie dem Amtsgericht zur Entscheidung vorlegt (§§ 70 ff. OWiG).

4. Ausblick: Unternehmensstrafrecht

In naher Zukunft stehen große Reformen an im Recht der Vermögenssanktionen an. Die wenig schlagkräftigen Instrumente des OWiG sind für die schwierige und komplexe Materie der Wirtschaftskriminalität kaum geeignet. Der neue Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD enthält daher Anregungen zur Neuregelung der Unternehmensstrafe und zu internen Ermittlungen. Dort (S. 126) heißt es u.a.:

„Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu. […] Wir werden das Sanktionsinstrumentarium erweitern: Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig. Wir werden sicherstellen, dass sich die Höhe der Geldsanktion künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientiert. […] Weiterhin schaffen wir konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen. […] Wir werden gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen.“

Ob bzw. in welcher Form mit dieser Absichtserklärung ein echtes Unternehmensstrafrecht, wie es in anderen Ländern bereits existiert, realisiert werden wird, bleibt abzuwarten. Der Entwurf eines sog. Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) liegt bereits vor.

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