Die Bedeutung des Steuergeheimnisses für das Strafrecht

Der vorliegende Text zurück auf einen Vortrag den Rechtsanwalt Dr. Tobias Rudolph am 23.03.2019 auf dem 43. Strafverteidiger-Tag in Regensburg gehalten hat.

steuergeheimis-strafrecht

I. Allgemein

1)     Steuergeheimnis und nemo tenetur

Das Steuergeheimnis ist in § 30 der Abgabenordnung (AO) geregelt. Man kann sich ihm über zwei verschiedene Wege näheren:

1) Man kann das Steuergeheimnis einerseits als Spezialfall des Datenschutzes verstehen. Es handelt sich hierbei um die älteste existierende Vorschrift zum Datenschutz, die lange vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten informationellen Selbstbestimmung (Volkszählungsurteil) existierte. Hintergrund ist die Tatsache, dass ein Finanzbeamter sehr viele persönliche Informationen erfährt, die nicht jeden was angehen.

Finanzbeamter F ist in seine Nachbarin N verliebt, die sich jedoch mehr für den Goldschmied G interessiert. F lässt der N die Information zukommen, dass G nur 1000 Euro monatlich verdient, ein uneheliches Kind hat und Aids-Medikamente als außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend macht. Außerdem gehört er der Religionsgemeinschaft der Baha’i an.

2) Im Zusammenhang mit Nemo Tenetur

Außerdem spielt das Steuergeheimnis eine wichtige Rolle als Ausgleich für die umfassenden Mitwirkungspflichten, die jeden Steuerpflichtigen treffen. Insbesondere ist man sogar verpflichtet, dem Finanzamt Auskünfte zu geben, wenn man dadurch Gefahr läuft, eine eigene Straftat zu offenbaren. Die folgt aus der Regelung des § 393 Abs. 1 AO, in der das Verhältnis zwischen Steuerrecht und Strafrecht skizziert wird.

Profikiller P hat letzten Monat 50.000 Euro für die Durchführung eines Auftrags erhalten.

Gäbe es kein Steuergeheimnis, so ließe sich die Verpflichtung zur umfassenden Auskunft gegenüber dem Staat verfassungsrechtlich vor dem Hintergrund des sogenannten Nemo Tenetur Grundsatzes nicht rechtfertigen. Danach ist grundsätzlich niemand verpflichtet, eine von ihm begangene Straftat gegenüber den staatlichen Behörden zu offenbaren.

2) Abgrenzungen

Anders als das Steuergeheimnis ist das Bankgeheimnis in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Letztlich „gibt“ es kein Bankgeheimnis in diesem Sinne. Es gibt lediglich eine zivilrechtliche Verpflichtung der Banken, Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen weiterzugeben. Die Schwelle hierfür liegt niedrig. So ist es beispielsweise schon bei kleinen Kriminalvorwürfen und bei einem geringen Verdachtsgrad für die Polizei in der Regel unproblematisch möglich, Bankauskünfte kurzfristig zu erhalten.

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte werden nicht durch das Steuergeheimnis, sondern durch die Verschwiegenheitspflicht zur Geheimniswahrung verpflichtet.

Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist in Artikel 10 Grundgesetz gesondert geschützt. Die Eingriffsschwellen hierfür (beispielsweise durch den sogenannten großen Lauschangriff, oder den „Bundestrojaner“ im Rahmen einer Onlinedurchsuchung liegen noch höher.

3) Gesetzliche Grundlagen

Das Steuergeheimnis hat seine Grundlage in dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfGE 84, 239 [BVerfG 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89]) und im Eigentumsschutz des Art. 14 GG (BVerfGE 67, 100). Das Steuergeheimnis ist kein eigenes Grundrecht. Es ist aber zumindest mittelbar verfassungsrechtlich geschützt.

Verstößt ein Finanzbeamter oder sonstiger Amtsträger gegen das Steuergeheimnis, so ist er gemäß § 355 StGB strafbar. Ihm droht auch ein Disziplinarverfahren. Ein Steuerpflichtiger, der durch eine Verletzung des Steuergeheimnisses geschädigt ist, kann im Übrigen auch Schadensersatzansprüche und Unterlassung gegenüber dem rechtsbrüchigen Beamten geltend machen (§ 839 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 355 StGB, § 1004 BGB analog).

Bei dem Straftatbestand des § 355 StGB handelt es sich um eine Spezialregelung zu § 203 Abs. 2 StGB. Dort ist ebenfalls die Verletzung von Privatgeheimnissen unter Strafe gestellt, die von Amtsträgern begangen werden kann, die unbefugt Geheimnisse offenbaren.

Der Straftatbestand der Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 355 StGB ist schon dann erfüllt, wenn ein Finanzbeamter in dem internen Datennetz Daten abruft, die ihn „nichts angehen“. Dies wurde durch die Verordnung über den automatisierten Abruf von Steuerdaten (Steuerdaten-Abrufverordnung – StDAV), die seit 2005 in Kraft ist, geregelt. Als das Strafverfahren gegen Uli Hoeneß lief, sollen insgesamt 2.949 Beamte Zugriff auf dessen persönliche Steuerdaten genommen haben. Es bedarf nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die meisten davon keine dienstlichen Gründe für den Zugriff hatten.

4) Steuerliche Hintergründe

Das Steuergeheimnis spielt oft im Steuerverfahren selbst eine Rolle. Hierfür muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass der sogenannte Grundsatz der Neutralität des Steuerrechts gilt (§ 40 AO). Das bedeutet, dass das Steuerrecht grundsätzlich keine Rücksicht darauf nimmt, ob Einkünfte aus legalen oder illegalen Erwerbsquellen stammen.

Ein Steuerpflichtiger selbst hat im Steuerfestsetzungsverfahren grundsätzlich kein Akteneinsichtsrecht (vgl. BFH Beschluss vom 05.12.2016, VI B 37/16). Dies liegt aber – entgegen vieler Behauptungen von Finanzbeamten, wenn es zum Streit kommt – nicht am Steuergeheimnis. Denn natürlich steht das Steuergeheimnis der Einsichtnahme des Steuerpflichtigen selbst in seine eigenen Steuerakten nicht entgegen. Vielmehr beruht die Rechtsprechung über das fehlende Akteneinsichtsrecht darauf, dass es keine ausdrückliche Vorschrift für ein Akteneinsichtsrecht im Besteuerungsverfahren gibt (anders als beispielsweise § 147 StPO, der das Akteneinsichtsrecht im Strafrecht regelt).

Den Finanzbeamten wird jedoch ein Ermessen bei der Akteneinsicht zugebilligt. Dies steht im Widerspruch zu der Praxis, wonach fast nie Akteneinsichtsrecht während des Besteuerungsverfahrens gewährt wird. Meist muss man als Rechtsanwalt warten, bis es zu einem Gerichtsverfahren (oder Strafverfahren) kommt um an die Originalakten der Steuerbehörden zu kommen.

Häufig wird Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren auch mit der Begründung verweigert, dass das Steuergeheimnis Dritter betroffen sein könnte. Dies ist unter anderem deshalb besonders ärgerlich, da es auch im Finanzgerichtsprozess keine Möglichkeit der Streitverkündung gibt.

5) Verwertungsverbot bei Verstoß?

Verstößt ein Finanzbeamter gegen das Steuergeheimnis, führt dies in der Regel noch nicht automatisch dazu, dass die Informationen in einem Strafverfahren unverwertbar werden. Insoweit orientiert sich die Rechtsprechung an den allgemeinen Grundsätzen, wonach nicht jedes rechtswidrig erlangte Beweismittel stets strafprozessual unverwertbar ist.

Für Disziplinarverfahren wird dies jedoch teilweise anders gesehen. Der Wortlaut des § 30 Abs. 2 Nr. 2 („oder verwertet“ ) spricht für diese Ansicht, die beispielsweise vom Verwaltungsgericht Saarlouis 07.02.2008, 7 K 131/07 vertreten wurde: „Eine Disziplinarverfügung, die unter Verstoß gegen das Steuergeheimnis zustande gekommen ist, ist rechtswidrig und verletzt den Beamten in seinen Rechten, sodass sie aufzuheben ist.“

Im Strafrecht liegt bei einem Verstoß das Steuergeheimnis jedoch ein Verwertungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 AO nahe. Hierzu führte der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.09.2009, Az. 5 StR 253/03.

„Das Verwertungsverbot des § 393 Abs. 2 AO soll es als prozessuale Ausgestaltung des Steuergeheimnisses nach § 30 AO dem Steuerpflichtigen ermöglichen, seiner Verpflichtung nachzukommen, alle steuerlich relevanten Tatsachen zu offenbaren, auch soweit sie auf strafbarem Verhalten beruhen.“

II. Zusammenspiel mit nemo tenetur

Bei dem Steuergeheimnis nach § 30 AO handelt es sich in verfassungsrechtlicher Terminologie um ein sogenanntes „Offenbarungsverbot“. Das bedeutet, dass Informationen grundsätzlich die „sichere Burg“ des Finanzamts nicht verlassen dürfen. Sowohl das Offenbarungsverbot des § 30 AO als auch das Verwertungsverbot des § 393 Abs. 2 AO spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlich garantierten Nemo Tenetur Grundsatz (vgl. dazu Rudolph, StraFo 2017, 183 ff.)

1)     Auskunftspflicht vs. nemo tenetur

Um sich die systematische Stellung der beiden Vorschriften klar zu machen, ist es hilfreich, sich die verschiedenen Möglichkeiten vor Augen zu halten, die denkbar sind, um einen Konflikt zwischen einer Auskunftspflicht und dem Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, aufzulösen.

  1. Suspendierung der Auskunftspflicht (z.B. § 55 StPO)

Wenn die Auskunftspflicht suspendiert wird, so besteht schon gar kein Konflikt. So sieht beispielsweise § 55 StPO vor, dass im Strafrecht niemand sich selbst zu belasten braucht (das sogenannte Recht zum Schweigen). Dieses Recht steht in einem Steuerstrafverfahren auch dem Steuerpflichtigen zu. Dieser ist jedoch gleichwohl zur Auskunft verpflichtet (vgl. § 391 Abs. 1 S. 1 AO). Der Gesetzgeber hat sich also bewusst dagegen entschieden dem Steuerpflichtigen diejenigen Rechte zu gewähren, die in anderen Strafverfahren selbstverständlich sind.

Insoweit stellt das Besteuerungsverfahren einen Sonderfall dar. Selbst im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren besteht ein Schweigerecht, wenn ein Betroffener durch eine Auskunft Gefahr laufen würde, eine von ihm selbst begangene Straftat nach § 266a StGB offenbar zu müssen bzw. sich selbst zu belasten (vgl. § 98 Abs. 2 S. 3 SGB X).

  1. Verzicht auf Vollstreckbarkeit

Eine Möglichkeit den Konflikt mit dem Nemo Tenetur Grundsatz zu lösen, wäre es, auf Zwangsmittel zu verzichten. Diese Möglichkeit sieht § 393 Abs. 1 S. 2 AO vor. Sie läuft darauf hinaus, dass ein Steuerpflichtiger de facto im Besteuerungsverfahren zwar nichts sagen muss, wenn ihm eine Bestrafung droht. Ihm droht dann jedoch eine Schätzung (§ 162 AO).

  1. Selbstanzeige

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH in Steuerstrafsachen liegt jedenfalls dann keine Verletzung des Nemo Tenetur Grundsatzes vor, wenn ein Steuerpflichtiger die Möglichkeit hat, durch eine Selbstanzeige eine Bestrafung abzuwenden. Diese Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige sieht im Steuerverfahren § 371 AO vor. Aufgrund der vielen Einschränkungen des Rechts der Selbstanzeige in den letzten Jahren hat dieses Instrument als Schutz vor dem Zwang, sich selbst belasten zu müssen, jedoch an Glanz verloren.

  1. Offenbarungsverbot

Dies ist die Möglichkeit, die das Steuergeheimnis gemäß § 30 vorsieht. Im Idealfall verlässt eine Information gar nicht erst das Finanzamt. Die Frage, ob dann noch ein Strafverfahren eingeleitet werden darf oder muss, stellt sich folglich nicht. Wenn eine Weitergabe von Informationen ganz ausgeschlossen werden könnte, läge kein Konflikt mit dem Nemo Tenetur Grundsatz vor. Denn der Betroffene bräuchte dann de facto keine Strafverfolgung zu befürchten. Allerding ist das Steuergeheimnis derart löchrig, dass es alleine als Schutz vor dem Zwang, sich selbst zu belasten, nicht ausreicht.

  1. Verwertungsverbot

Sich auf das Verwertungsverbot des § 393 Abs. 2 S. 1 AO zu berufen ist oft der letzte Rettungsanker, den ein Steuerpflichtiger hat, wenn ihm ein Strafverfahren droht. Ein Beispiel:

Im Rahmen einer Betriebsprüfung fallen dem Prüfer Mahnschreiben auf, in denen auf die Erstattung von Umsatzsteuer Bezug genommen wird. Er nimmt zunächst an, dass es sich um einen Fall des § 14c UStG handelt, d.h. um Scheinrechnungen, bei denen die ausgewiesene Umsatzsteuer nicht ordnungsgemäß abgeführt wird. Er gibt daher den Fall an die Staatsanwaltschaft weiter. Diese stellt (zutreffend) fest, dass es sich bei den Schreiben zwar nicht um umsatzsteuerpflichtige Rechnungen im Sinne von § 14c UStG handelt. Die Staatsanwaltschaft stellt jedoch auch fest, dass die Mahnungen unberechtigt waren und nimmt daher einen Betrug (§ 263 StGB) an.

Anmerkung: Hier ist schon fraglich, ob die Informationen das Finanzamt überhaupt verlassen hätten dürfen. Der Finanzbeamte ging jedenfalls subjektiv davon aus, dass die Weitergabe an die Staatsanwaltschaft gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Nr. 1b AO gerechtfertigt war, d.h. der Durchführung eines Strafverfahrens diente. Dies war, wie sich jedoch später herausstellte, nicht der Fall. Gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 4 lit. a AO bestünde eigentlich das Verbot der Weitergabe.

Denn die Informationen waren von dem Steuerpflichtigen während der laufenden Betriebsprüfung herausgegeben worden, und zwar noch bevor überhaupt ein Strafverfahren eingeleitet bzw. bekanntgegeben wurde. Geht man davon aus, dass kein zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO) für die Verfolgung des Betruges bestand, so dürfte gemäß § 393 Abs. 2 S. 1 AO die Staatsanwaltschaft aufgrund des bestehenden (umfassenden) Verwertungsverbots den Fall gar nicht weiter verfolgen.

Das Beispiel demonstriert nicht nur, wie schnell die Schutzmechanismen in der Praxis übersehen werden können. Es veranschaulicht auch, wie löchrig diese sind. Denn ein Staatsanwalt, der einmal den „Fisch“ wegen eines mutmaßlichen Betruges an der Angel hat, wird diesen kaum wieder laufen lassen.

2)     Verfassungsrechtlicher Mindeststandard

Schon in dem Gemeinschuldner-Beschluss aus dem Jahr 1981 hat das Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen 1 BvR 116/77) im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht klargestellt, dass die Gewährung eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes den Mindeststandard darstellt, durch den ein Bürger, der gesetzlich gezwungen wird, Auskunft zu erteilen, vor einem Verstoß gegen den Nemo Tenetur Grundsatz geschützt wird. Dies ist heute im Zusammenhang mit dem Insolvenzstrafrecht in § 97 InsO geregelt.

Die Frage, ob die Ausnahmevorschrift des § 393 Abs. 2 S. 2 AO verfassungsgemäß ist, ließ das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 27.04.2010 (Az. 2 BvL 13/07) (sogenannte Kükensortierer-Entscheidung) offen. In denjenigen Fällen, in denen es darauf ankommt (so wie in dem oben genannten Beispiel mit den betrügerischen Mahnschreiben) lohnt es sich als Verteidiger, weiter zu kämpfen.

III. Anwendungsbereich des § 30 AO

Geschützt sind sämtliche persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die einem Finanzbeamten im Rahmen dessen Tätigkeit bekannt werden.

Dazu gehört auch die Tatsache, dass überhaupt ein Steuerfall vorliegt, dass eine Außenprüfung stattgefunden hat und wer für wen welche Anträge gestellt hat. Umstritten ist, ob ein Anzeigenerstatter, der den Hinweis auf eine Steuerhinterziehung gegeben hat, vom Steuergeheimnis umfasst ist. Dies wird zumindest von der Finanzverwaltung bejaht.

Anmerkung: Immer wieder liest man, dass in skandinavischen Ländern wie Schweden oder Finnland kein Steuergeheimnis besteht. Dies ist insoweit richtig, als dort ab einer gewissen Größenordnung das Einkommen und das Vermögen offengelegt werden muss. Das Steuergeheimnis dort ist allerdings nur durchbrochen. Es existiert auch in diesen Ländern. Hinsichtlich anderer Informationen, wie beispielsweise den Umstand, dass jemand Aids-Medikament als außergewöhnliche Belastungen steuerlich absetzt, besteht auch in diesen Ländern ein Steuergeheimnis.

IV. Durchbrechungen des Steuergeheimnisses

1)     Systematik

So weit das Steuergeheimnis im Anwendungsbereich auch ist, so weit sind die Durchbrechungen, die sich aus Abs. 4 bis 6 des § 30 AO ergeben. Liegt eine dieser gesetzlichen Ausnahmen vom Steuergeheimnis vor, hat die Finanzbehörde grundsätzlich ein Ermessen darüber, ob sie Auskünfte weiter gibt.

Allerdings gibt es einige bedeutende Durchbrechungen des Steuergeheimnisses, die gleichzeitig eine Verpflichtung zur Offenbarung vorsehen. Im Strafrecht wird eine solche Auskunftspflicht aus § 161 StPO herausgelesen (freilich nur, wenn überhaupt ein Rechtfertigungstatbestand, z.B. nach § 30 Abs. 4 AO, vorliegt). Für Spezialfälle, wie beispielsweise bei der Verfolgung von Korruptionsstraftaten sieht § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 3 EStG nicht nur eine Ausnahme vom Steuergeheimnis vor, sondern auch darüber hinaus auch eine Pflicht des Finanzamts, die Staatsanwaltschaften zu informieren. Die Steuerfahnder wurden seit der Einführung dieser Vorschrift vor einigen Jahren zu den erfolgreichsten und selbstbewusstesten Korruptionsermittlern in Deutschland.

Zu achten ist stets darauf, dass die Finanzbeamten nicht mehr Informationen preisgeben, als es für die Erfüllung der jeweiligen Zwecke gerechtfertigt ist. So kann es beispielsweise erlaubt und geboten sein, dem Gewerbeamt mitzuteilen, wenn ein Gastwirt Steuern hinterzogen hat. Eine solche Mitteilung bezieht sich aber nur auf die betrieblichen Steuern. Das Finanzamt darf folglich nicht dem Gewerbeamt Einzelheiten über die privaten Steuern des Gastwirts mitteilen. Diese Einschränkungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 4 („soweit“) ergeben, werden in der Praxis häufig übersehen.

2)     Rechtfertigungsgründe

Die Rechtfertigungsgründe im Einzelnen ergeben sich aus dem Gesetzt. Stets zulässig ist die Weitergabe von Daten, wenn sie der Durchführung eines Besteuerungsverfahrens oder eines Steuerstrafverfahrens dient.

Wichtige gesetzliche Rechtfertigungsgründe ergeben sich für Korruptionsstraftaten aus § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG sowie für Geldwäsche bzw. die Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen aus den §§ 31a und 31b AO.

Gemäß § 30 Abs. 5 dürfen vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen den Strafverfolgungsbehörden stets weitergegeben werden.

3)     Allgemeine Strafverfahren

Wie anhand des oben genannten Beispiels mit den betrügerischen Rechnungen bereits dargelegt, ist die Offenbarung und Weitergabe von Angaben, die ein Steuerpflichtiger aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung (beispielsweise im Rahmen einer Betriebsprüfung) gemacht hat, beschränkt. Im Grundsatz dürfte aufgrund solcher Angaben eigentlich überhaupt kein Strafverfahren eingeleitet werden. Gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. a AO ist lediglich die Weitergabe von Zufallsfunden zulässig, aber auch nur dann, wenn der Steuerpflichtige bereits über ein Aussageverweigerungsrecht belehrt wurde.

Gemäß Abs. 4 Nr. 4 lit. b ist die Weitergabe von Informationen zulässig, die ein Steuerpflichtiger „versehentlich“ macht obwohl er dazu gar nicht verpflichtet ist. Ein solcher Fall läge beispielsweise dann vor, wenn ein Steuerpflichtiger in einem Antrag auf Stundung der Steuern Angaben macht, die Hinweise auf eine Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO) geben.

Alle in § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO geregelten Fälle dürften in der Praxis eher die Ausnahme sein.

Die Tatsache, dass gleichwohl es immer wieder zur Einleitung von Strafverfahren wegen Allgemeindelikten aufgrund von Auskünften im Besteuerungsverfahren kommt, hängt vor allem an Abs. 4 Nr. 5. Danach ist das Steuergeheimnis durchbrochen, wenn für die Weitergabe der Informationen ein sogenanntes „zwingendes öffentliches Interesse“ besteht. Diese Generalklausel ist äußerst fragwürdig und sollte in der Praxis, insbesondere bei der Strafverteidigung, hinterfragt werden.

4)     Zwingendes öffentliches Interesse

30 Abs. 4 Nr. 5 der Abgabenordnung steht die „Achillesferse“ des Steuergeheimnisses dar. Hier werden beispielsweise Verbrechen (§ 12 StGB) erfasst, oder erhebliche Straftaten aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts. Grenzwerte, ab welcher Schadenssumme beispielsweise bei Wirtschaftsstraftaten ein zwingendes öffentliches Interesse angenommen wird, lassen sich in der Rechtsprechung nicht verlässlich finden.

V. Typische Konflikte des Steuergeheimnisses mit dem Strafrecht

1)     Parlamentarischer Untersuchungsausschuss

Die wenigen Fälle, bei denen sich Verfassungsgerichte mit dem Steuergeheimnis auseinandergesetzt haben, betrafen vor allem die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (vgl. Art. 44 GG) das Recht hat, an Informationen zu gelangen, die dem Grunde nach dem Steuergeheimnis unterliegen.

Im sogenannten Flick-Urteil des Bundesgerichtsgerichts vom 17.07.1984 aus dem 1984, Az. 2 BvE 11/83, wurde ein solches Recht des Untersuchungsausschusses bejaht. Dieses Recht wurde auf ein zwingendes öffentliches Interesse nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. c AO gestützt. Hintergrund war der Verdacht, dass dem Großindustriellen damals aus politischen Gründen Steuervergünstigungen gewährt wurden, die den Anschein einer Vetternwirtschaft aufkommen ließen.

Als es zu dem Steuerstrafverfahren gegen Uli Hoeneß kam, fordert die Fraktion der Grünen im Bayerischen Landtag ebenfalls weitergehende Auskünfte über die steuerlichen Verhältnisse. Zu diesem Zweck wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. In diesem Fall hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 11.09.2014 jedoch entschieden, dass das Steuergeheimnis vorgeht (Az. Vj. 67-Iva-13).

2)     Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung

Streitig ist immer wieder, wie sich das Steuergeheimnis zu dem Grundsatz der Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung gemäß § 169 GVG verhält. Dabei handelt es sich jedenfalls um keine gesetzliche Durchbrechung des Steuergeheimnisses im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO. Wenn steuerliche Verhältnisse im Rahmen einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zur Sprache gekommen sind, verlieren sie daher nicht automatisch den Schutz des Steuergeheimnisses, vgl. dazu BFH vom 14.04.2008, Az. VII B 266/07:

„Der Senat neigt zu der Rechtsauffassung, dass eine Tatsache, von der sich jedermann hat Kenntnis verschaffen können, etwa weil sie Gegenstand einer öffentlichen Erörterung z.B. in einer Gerichtsverhandlung gewesen ist (dazu Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 30 AO Rz 124; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 30 Rz 59a), deshalb grundsätzlich noch nicht den Schutz einbüßt, den ihr § 30 Abs. 1 AO ggf. gewährt.“

Für Verteidiger lohnt es sich daher, gegebenenfalls einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG zu stellen, wenn in einer Hauptverhandlung Dinge zur Sprache kommen, die das Steuergeheimnis des Angeklagten berühren.

3)     Akteneinsichtsrecht der Verteidigung

Immer wieder werden den Verteidigern in Strafverfahren einzelne Aktenbestandteile unter Hinweis auf das Steuergeheimnis versagt. Dies ist jedenfalls insoweit unzulässig, als es sich um eigene steuerliche Verhältnisse des Angeklagten handelt.

Aber auch soweit die steuerlichen Verhältnisse Dritter betroffen sind, kann nach richtiger Auffassung Akteneinsicht nicht versagt werden. Denn bei der Vorschrift des § 147 StPO, die im Grundsatz ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten gewährt, handelt es sich um eine gesetzliche Befugnis im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO.

4)     Akteneinsichtsrecht des Verletzten

Umstritten ist, ob ein Verletzter Akteneinsicht in Unterlagen eines Beschuldigten verlangen kann, wenn hierin Dinge enthalten sind, die das Steuergeheimnis betreffen. Nach richtiger Auffassung handelt es sich bei der Vorschrift des § 406e StPO (im Gegensatz zu § 147 StPO) jedenfalls nicht um eine allgemeine gesetzliche Befugnis im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO. Überwiegend geht man im Ergebnis davon aus, dass die Lösung über eine Abwägung im Einzelfall gesucht werden muss.

5)     Steuerliche Selbstanzeige

Wenn ein Allgemeindelikt (beispielsweise eine Urkundenfälschung) in Tateinheit mit einer Steuerhinterziehung steht ist die Weitergabe an die Staatsanwaltschaft in der Regel über § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO gerechtfertigt. Denn in diesen Fällen ist die Durchführung eines Steuerstrafverfahrens stets gerechtfertigt.

Der BGH löste den dadurch entstehenden Konflikt mit dem Nemo Tenetur Grundsatz in der Vergangenheit dadurch, dass er davon ausging, dass es keine gesetzliche Pflicht zur Abgabe einer Selbstanzeige gibt (vgl. BGH 5 StR 548/03). Diese Argumentation greift allerdings nicht mehr, wenn beispielsweise eine Verpflichtung zur Korrektur besteht, wie sie in Fällen des dolus eventualis durch den BGH durch die Entscheidung vom 17.3.09 (BGH 17.3.09, 1 StR 479/0) angenommen wurde.

Wird eine Selbstanzeige abgegeben und ergeben sich daraus Anhaltspunkte für ein Allgemeindelikt („außersteuerliche Straftaten“), das mit der Steuerhinterziehung in Tatmehrheit steht, ist in der Regel eine Weitergabe an die Staatsanwaltschaft durch die Steuerbehörden ausgeschlossen. Eine solche ist insbesondere in der Regel nicht nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 gerechtfertigt. Eine Weitergabe dürfte daher nur in den – eng auszulegenden! – Fällen des zwingenden öffentlichen Interesses gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO zulässig sein.

Neben der Frage, ob die Einleitung eines Strafverfahrens wegen eines Nicht-Steuerstrafverfahrens nach der Abgabe einer Selbstanzeige zulässig ist, stellt sich immer wieder auch die Frage, ob die Weitergabe der steuerlichen Informationen zu anderen Zwecken, insbesondere zur Verhängung disziplinarrechtlicher Sanktionen, zulässig ist.

Für Beamte und Richter ist dies gemäß den §§ 15 BBG, 49 BeamtStG ausdrücklich erlaubt.

Auch bei Pflichtverletzungen durch Rechtsanwälte und Steuerberater sind die entsprechenden Kammern zu informieren, vgl. § 10 Abs. 1 StBerG.

Entsprechende Vorschriften für Ärzte, denen ein Strafverfahren vorgeworfen wird, finden sich nicht. Daher sollte hier sorgfältig darauf geachtet werden, ob ein Rechtfertigungsgrund nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 (zwingendes öffentliches Interesse) besteht.

Für Gewerbetreibende hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 29.07.2003 (Az. VII R 39/02) entschieden, dass die Weitergabe von Daten grundsätzlich zulässig ist, wenn das Finanzamt die Gewerbeaufsicht über steuerliche Vergehen der Bürger informiert.

6)     Geldwäsche und Schwarzarbeit

Für Geldwäsche und Schwarzarbeit enthalten die §§ 31a und 31b AO Sonderregelungen. Es handelt sich hier um gesetzliche Rechtfertigungsgründe, die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses erlauben.

7)     Korruptionsfälle

Dasselbe gilt für Korruptionsfälle gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG. Finanzbeamte sind demnach nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Verdachtsmomente (beispielsweise bei Schmiergeldzahlungen) der Staatsanwaltschaft zu melden.

8)     Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft

Auch bei der Zuständigkeitsverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Finanzbeamten kommt es darauf an, ob eine Steuerhinterziehung in Tateinheit mit einem Allgemeindelikt besteht, oder ob Tatmehrheit vorliegt.

Auch bei der Zuständigkeitsverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Finanzbeamten kommt es darauf an, ob eine Steuerhinterziehung in Tateinheit mit einem Allgemeindelikt besteht, oder ob Tatmehrheit vorliegt.

In ersterem Fall ist stets die Staatsanwaltschaft für die weitere Verfolgung der Straftat zuständig, da Gegenstand der Verfolgung dann nicht mehr „ausschließlich eine Steuerstraftat“ im Sinne von § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO vorliegt.

Bei Tatmehrheit zwischen einer Steuerhinterziehung und einem Allgemeindelikt bestehen folgende zwei Möglichkeiten:

a) Das Finanzamt ermittelt alleine. Die Staatsanwaltschaft wird über den Verdacht eines zusätzlich verwirklichten Allgemeindelikts überhaupt nicht informiert. Dies entspricht dem gesetzlichen Regelfall. Das Finanzamt soll sich nur um Steuern kümmern, gleichzeitig aber den Schutz von vertraulichen Informationen sicherstellen.

b) Nur in den Fällen, bei denen ein ausdrücklicher Rechtfertigungstatbestand, beispielsweise nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 oder Nr. 5 AO vorliegt, ist die Staatsanwaltschaft zu informieren und wird dann regelmäßig die Strafverfolgung wegen des Verdachts eines Allgemeindelikts aufnehmen. In diesen Fällen hat sie gemäß § 386 Abs. 4 AO die Möglichkeit, das gesamte Verfahren an sich zu ziehen (sogenanntes Evokationsrecht).

VI. Fazit

Im Regelfall wird das Steuergeheimnis von Finanzbeamten ernst genommen, da ein Verstoß dagegen strafbar ist. Eine statistische Aussage darüber, wie oft das Steuergeheimnis korrekt eingehalten wird, ist freilich nicht möglich. Denn diese Fälle erfährt idealerweise weder ein Staatsanwalt noch ein Verteidiger oder sonst jemand außerhalb des Finanzamts.

Kommt es zum Streit über Akteneinsichtsrechte bzw. Verteidigungsmöglichkeiten in einem Strafverfahren, wird das Steuergeheimnis manchmal als Kampfbegriff verwendet, um Akteneinsicht zu verweigern.

Stellt ein Verteidiger in einem Strafverfahren fest, dass eine Verletzung des Steuergeheimnisses vorlag, so hat er aktiv auf die Einhaltung des dann in der Regel Hand in Hand gehenden Verwertungsverbots gemäß § 393 Abs. 2 S. 1 AO hinzuwirken.