Schweigen im Strafverfahren

Warum sollte ich als Beschuldigter einer Straftat schweigen?

„Mir hat noch nie etwas geschadet, was ich nicht gesagt habe.“
Calvin Coolidge, Amerikanischer Anwalt und Politiker, 30. Präsident der USA, 1872-1933.

In amerikanischen Kriminalfilmen haben Sie vielleicht schon einmal Folgendes gehört:

Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. (…)“

Selbstverständlich gilt bei uns kein amerikanisches Recht. Bis auf einige Ausnahmen kann aber auch in Deutschland alles gegen Sie verwendet werden, was Sie im Laufe des Verfahrens von sich geben – auch gegenüber der Polizei. Gerade im Strafverfahren zeigt sich die Überlegenheit des Staates gegenüber seinen Bürgern deutlich. Da kann es schnell passieren, dass aus einer unbedachten Äußerung ein Aktenvermerk wird, der das weitere Verfahren zu Ihrem Nachteil bestimmt.

Viele Fehler, die zu Beginn eines Verfahrens gemacht werden, lassen sich später nur schwer oder sogar überhaupt nicht mehr beseitigen. Dazu gehören auch und gerade vorschnelle Einlassungen des Beschuldigten. Wer schweigt, macht sich nicht verdächtig und hat auch nichts zu verbergen. Wer schweigt, behindert nicht die Ermittlungen und zieht das Verfahren auch nicht in die Länge. Wer schweigt, kennt einfach nur seine Rechte und macht von ihnen Gebrauch.

Der Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren hat das Recht zu schweigen. Niemand ist verpflichtet, sich durch eine Aussage selbst zu belasten.

Der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, ist zwar in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich geregelt. Er kommt jedoch an mehreren Stellen zum Ausdruck und liegt dem Gesetz zu Grunde. Das Prinzip ist derart fundamental, dass es auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt wird. Juristen nennen diesen Grundsatz das nemo-tenetur-Prinzip; das steht für die lateinische Formulierung nemo tenetur se ipsum accusare – Niemand ist verpflichtet, sich selbst anzuklagen. Der Bürger hat gegenüber dem Staat nicht nur die Freiheit, sich selbst nicht belasten zu müssen, er muss noch nicht einmal aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken.

Fast immer hat eine Aussage zur Sache negative Auswirkungen auf die folgende Entwicklung des Falls, auch wenn der Beschuldigte selbst seiner Aussage keine große Bedeutung zumisst – oder meint, sich entlasten zu können.

Die Möglichkeiten, sich zu entlasten werden von den Beschuldigten in einem Strafverfahren fast immer überschätzt. In der Praxis beobachten Strafverteidiger immer wieder, dass entlastende Aussagen von der Polizei nicht vollständig aufgenommen werden oder in den Protokollen so verzerrt werden, dass am Schluss nur das Belastende übrig bleibt und seinen Weg in die Gerichtsakte findet.

Von der ersten Aussage hängt daher oft der weitere Verlauf des gesamten Verfahrens ab. Daher sollten Sie nicht unüberlegt eine Aussage zu den Vorwürfen machen. Auch die Entscheidung, ein Geständnis abzulegen oder zu schweigen, sollte nicht ohne Rücksprache mit einem Verteidiger vorgenommen werden.

Tatsächlich ist die Antwort auf die Frage nach einem Geständnis – ob und wenn ja wann – in den meisten Fällen die schwierigste Entscheidung überhaupt. Sie setzt Akten- und Rechtskenntnis genauso wie Erfahrung, Fingerspitzengefühl, Ruhe und Distanz voraus. All dies fehlt in der ersten Vernehmungssituation bei der Polizei.

Daher ist es fast immer ratsam, zunächst die Akteneinsicht des Verteidigers abzuwarten und dann in Ruhe über eine Aussage nachzudenken.

Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen von dieser Regel. Wenn sie sich direkt nach einer Festnahme nachweisbar und zwingend entlasten können, so sollten Sie dies den Ermittlungsbehörden sofort mitteilen. Derartige Fälle – wenn beispielsweise eine Verwechslung mit dem Zwillings-Bruder vorliegt oder man sich zum Tatzeitpunkt nachweislich im Ausland aufgehalten hat – sind in der Praxis jedoch sehr selten.

Wird mir das Schwiegen negativ ausgelegt?

Wenn Sie in dem Ermittlungsverfahren schweigen, darf Ihnen das nicht negativ zur Last fallen. Andererseits kann Ihnen ein Teilschweigen jedoch schaden. Dass bedeutet, dass sie besser gar nichts sagen sollten, anstatt ein bisschen etwas auszusagen. Selbst wenn sie davon überzeugt sind, dass sie ohne Grund beschuldigt werden und keine Straftat begangen haben, ist es fast immer besser, zunächst keine Aussage zur Sache machen.

Die Erfahrung aller Strafverteidiger ist, dass unüberlegte Einlassungen, die in der „Hitze des Gefechts“ erfolgen, fast immer schädlich sind.

Demgegenüber ist ein Geständnis, dass im Rahmen einer späteren Vernehmung oder in der Hauptverhandlung abgelegt wird, fast immer „mehr wert“ als ein Geständnis, das frühzeitig bei der Polizei direkt nach der Festnahme erfolgte. Es ist wie beim Skat: Man sollte sich sehr genau überlegen, wann man seine Trümpfe ausspielt.

Polizeibeamte sind darauf geschult, bei Beschuldigten den Eindruck zu erwecken, es sei besser für diese, frühzeitig ein Geständnis abzugeben. Dies ist fast immer falsch. Bei einer Festnahme ist die Polizei „Freund und Helfer“ des Staatsanwalts – und nicht des Beschuldigten. Polizisten, die versprechen, beim Richter ein „gutes Wort“ einzulegen, verletzen ihre Dienstpflichten. Jeder, dem ein solches Versprechen gemacht wird, sollte darauf bestehen, dass dies schriftlich protokolliert oder vor neutralen Zeugen wiederholt wird. Hierzu sind Polizeibeamte, die „faule Versprechungen“ abgeben, meist nicht bereit – aus gutem Grund.

Statt sich zur Sache zu äußern sollte ein Beschuldigter daher in jeder Lage des Verfahrens darauf bestehen, sofort einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen und im Übrigen schweigen.

Wer keine Telefonnummer eines Strafverteidigers zur Hand hat, kann übrigens einen Strafverteidiger-Notruf verlangen. Die Notruf-Telefonnummer sollte in jeder Polizei-Dienststelle bekannt sein.

Schweigen im Strafverfahren

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