Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt gegen Gynäkologen

Ermittlungsverfahren gegen Frauenärzte

– Ermittlungen der Zollfahndung Essen –

1. Strafverfahren gegen Gynäkologen

Im Juli 2012 kam es zu Razzien in mehreren Frauenarztpraxen. Es wird gegen Gynäkologen wegen des Verdachts ermittelt, in Deutschland nicht zugelassene Medikamente (v.a. Hormonspiralen, z.B. Mirena) direkt an ihre Patientinnen verkauft zu haben.

Die Ermittlungen wegen des angeblichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz werden durch die Zollfahndung Essen geführt, nachdem durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal Strafverfahren gegen die Lieferanten eingeleitet worden waren. Inzwischen haben sich die Strafverfahren auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet.

In den Fällen, bei denen es zu den Praxisdurchsuchungen kam, besteht der Verdacht, dass den Patientinnen das Gestagen Depocon (Medroxyprogesteronacetat, MPA) verabreicht worden sein soll.

In der Mehrzahl der aktuellen Fälle geht es um den Direktverkauf von Präparaten, die in Deutschland nicht zugelassen sind. Betroffen sind beispielsweise die Kontrazeptiva Mirena und Implanum, welche durch die Firma SigmaGyn vertrieben wurden. Die Lieferung erfolgte meist über das europäische Ausland (Österreich, England, Zypern).

In einigen Fällen wird den Ärzten vorgeworfen, bei der spanischen Firma SIGMA Ginecologicos S.L. und der zypriotisch-britischen Firma GP SUPPLIES Ltd. verschreibungs- und apothekenpflichtige Arzneimittel erworben zu haben, und diese ohne Zwischenschaltung einer Apotheke an ihre Patientinnen weitergegeben zu haben.

Nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erhalten die Frauenärzte Anhörungsschreiben der Zollfahndung Essen, mit der Aufforderung, Unterlagen herauszugeben.

Für den Fall, dass sich die verdächtigten Ärzte nicht „kooperativ“ zeigen, d.h. keine Unterlagen zu Bestell- und Zahlungsvorgängen an die Ermittlungsbehörden herausgeben, wird ihnen die Durchsuchung ihrer Praxisräume angedroht.

2. Strafbarkeit von Parallelimporten

Den beschuldigten Ärzten wird vorgeworfen, sich durch ihr Verhalten gemäß den §§ 95 I Nr. 4, 96 Nr. 5 oder Nr. 14 AMG (Arzneimittelgesetz) strafbar gemacht zu haben.

§ 95 I Nr. 4 AMG verbietet es, mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, mit denen nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes außerhalb von Apotheken kein Handel getrieben werden darf, ohne Zwischenschaltung einer Apotheke Handel zu treiben bzw. diese an Patientinnen abzugeben. Ob diese Vorschrift erfüllt ist, hängt unter anderem davon ab, ob es sich bei den Betroffenen Präparaten um Arzneimittel im Sinne des Gesetzes handelt (was beispielsweise wohl für NOVA T nicht zutrifft). Umstritten ist auch, ob eine Ausnahmevorschrift i.S.d. §§ 44 ff. AMG den Direktvertrieb von grundsätzlich apothekenpflichtigen Medikamenten in diesen Fällen ausnahmsweise erlaubt.

Gemäß § 96 I Nr. 14 AMG macht sich strafbar, wer ohne erforderliche Erlaubnis mit Arzneimitteln Großhandel betreibt.

§ 96 Nr. 5 AMG verbietet es, Fertigarzneimittel in den Verkehr zu bringen, ohne dass eine Zulassung durch die zuständige Bundesbehörde erfolgte.

Während ein Großhandel im Sinne von § 96 I Nr. 14 AMG nur in seltenen Ausnahmefällen zu bejahen sein dürfte (hierbei kommt es vor allem auf Art und Umfang des Vertriebs an), ist für die betroffenen Ärzte insbesondere § 96 Nr. 5 AMG kritisch. Danach ist strafbar, wer Fertigarzneimittel ohne Zulassung in den Verkehr bringt. Die Zulassungspflicht ist in § 21 AMG geregelt. Danach dürfen Fertigarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG (um solche dürfte es sich in den in Frage stehenden Fällen handeln) in Deutschland nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie

a) entweder durch die zuständige Bundesoberbehörde
b) oder nach einem europäischen Zulassungsverfahren, das in § 21 Abs. 1 AMG genauer beschrieben wird, zugelassen sind.

Es gibt folglich entweder ein nationales oder ein europäisches Zulassungsverfahren. Vorliegend kann davon ausgegangen werden, dass die Medikamente, um die es geht, dem nationalen Zulassungsverfahren unterliegen. Dass es sich um Fertigarzneimittel im Sinne des § 21 AMG handelt, folgt aus § 4 Abs. 1 AMG. Danach sind Fertigarzneimittel solche, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden.

Ein strafrechtliches Risiko besteht sowohl für einen Arzt, der ausländische Medikamente an Patientinnen weiterverkauft, als auch für einen Vermittler, der dafür sorgt, dass die ausländischen Medikamente an inländische Ärzte verkauft werden. Dies folgt aus § 4 Absatz 10 AMG, wo der Begriff des „In-Verkehr-Bringens“ näher definiert wird. In-Verkehr-Bringen ist danach das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. Darunter dürfte auch die bloße Weitergabe an Patientinnen zum Selbstkostenpreis fallen.

Die Medikamente, um die es geht, haben zwar in der Regel eine ausländische (beispielsweise österreichische) Zulassung. Die Produkte sind eventuell sogar in Deutschland mit den gleichen Wirkstoffen zugelassen. Da die Zulassungsverfahren auch innerhalb der EU jedoch länderbezogen sind, handelt es sich schon dann um ein „nicht zugelassenes“ Produkt i.S.d. AMG, wenn es an der spezifischen nationalen Zulassung fehlt.

Daran ändert auch § 73 III AMG nichts. Zum einen geht es in dieser Vorschrift um die Zulässigkeit der Verbringung eines Arzneimittels in den Geltungsbereich des AMG, und nicht um das Handeltreiben bzw. die Abgabe an Patienten. Darüber hinaus betrifft diese Erlaubnisnorm Apotheken, nicht aber Ärzte, und es stehen hinsichtlich des Wirkstoffs identische bzw. hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbare Arzneimittel in Deutschland zur Verfügung. Damit ist ein Sonderimport nicht gerechtfertigt, da § 73 III AMG nicht die jeweiligen nationalen Zulassungsverfahren aushebeln soll.

3. Was kann man den Ärzten vorwerfen?

Fraglich ist, ob man den Ärzten vorwerfen kann, vorsätzlich gegen Vorschriften des Arzneimittelrechts verstoßen zu haben.

Für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes der Vorschriften des AMG reicht ein sogenannter bedingter Vorsatz (Juristen sprechen hier von dolus eventualis). Dafür ist es ausreichend, wenn ein Arzt die Möglichkeit erkannt hat, dass etwas nicht stimmt, aber sozusagen „bewusst weggeschaut“ hat.

Viele Ärzte wussten wohl nicht, dass es sich bei den Anbietern der Medikamente um ausländische Firmen handelte. Insbesondere der Vertreiber „SigmaGyn“ erweckte nach der Art der Angebotsbeschreibung den Eindruck, es handele sich um einen deutschen Arzneimittelversandhändler oder einen zugelassenen Re-Importeur bzw. Parallel-Importeur von Arzneimitteln.

Zweifelhaft ist, ob man den Betroffenen unterstellen kann, anhand der Rechnungen, die aus dem Ausland gestellt wurden, erkannt zu haben, dass es sich um ausländische Produkte handelt. Lebensnah dürfte es eher sein, davon auszugehen, dass die Praxisinhaber die Rechnungen – wenn überhaupt – nur flüchtig zu Gesicht bekommen haben und keinen Anlass hatten, sich über die Vertriebswege bzw. die Herkunft der Medikamente Gedanken zu machen.

Es ist auch für Juristen nur schwer nachvollziehbar, dass der Verkauf von Produkten, deren Qualität und Wirksamkeit nach deutschen Standards anerkannt ist, nur deshalb strafbar sein soll, weil die Verpackungen „einen ausländischen Stempel“ tragen. Insoweit dürfte in vielen Fällen auch ein strafbefreiender Verbotsirrtum durch die Ärzte (§ 17 StGB) nahe liegen.

4. Wann sind die Vorwürfe strafrechtlich verjährt?

Für  § 95 I Nr.4 AMG gilt eine Verjährungsfrist von 5 Jahren (§ 78 III Nr.4 StGB).

Für § 96 AMG gilt eine Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 78 III Nr.5 StGB).

Wenn mehrere Straftatbestände gleichzeitig verwirklicht wurden, ist es möglich, dass der eine bereits verjährt ist, der andere indes noch nicht.

5. Ist die Durchsuchung einer Arztpraxis zulässig?

Die Durchsuchung von Arztpraxen ist grundsätzlich möglich, wenn gegen den Inhaber selbst strafrechtliche Ermittlungen laufen. Wegen des Schutzes der betroffenen Patienteninteressen sind die Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss jedoch hoch.

Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Arztpraxis die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschl. v. 21. 1. 2008 – 2 BvR 1219/07). Dies ergibt sich aus der Besonderheit des Arzt-Patienten-Verhältnisses.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt (BVerfGE 32, 373, 380):

„Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chancen der Heilung vergrößert und damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“

Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen und dem Aufklärungsinteresse des Staates sind in Rechnung zu stellen:

• Der Grad des Verdachtes gegen den Arzt
• Die Schwere der Straftat, die dem Arzt zu Last gelegt wird
• Der Anlass der Straftat, die dem Arzt zu Last gelegt wird
• Der besondere Schutz der Berufsträger unter dem Aspekt, dass bei einer Praxisdurchsuchung i.d.R. auch persönliche Daten anderer Patienten beeinträchtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 21. 1. 2008 – 2 BvR 1219/07).

In den vorliegenden Fällen ist es äußerst zweifelhaft, ob die bekannt gewordenen Praxisdurchsuchungen nach diesem Maßstab rechtmäßig waren. Denn der individuelle Schuldvorwurf – sofern im Einzelfall überhaupt eine Strafbarkeit bejaht werden kann – ist in jedem Fall minimal. Das allgemeine Interesse an dem Schutz der Arztpraxis dürfte daher vorgehen.

In den Fällen, bei denen Ärzte aufgefordert werden, Buchhaltungsunterlagen über die Bestellvorgänge herauszugeben, ist Vorsicht geboten. Insbesondere in einem Schreiben der Zollfahndung Essen bzw. der Staatsanwaltschaft Wuppertal wird der Eindruck erweckt, „Widerstand sei zwecklos“. Dies ist angesichts der erheblichen Eingriffsschwelle für zwangsweise Durchsuchungen einer Arztpraxis mit Sicherheit falsch.

In erster Linie haben die Ärzte, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, das Recht zu Schweigen – wie jeder andere Beschuldigte auch. Dazu gehört unter Umständen auch das Recht, Unterlagen zurück zu halten.

Im Zweifel sollte von diesem Recht Gebrauch gemacht werden – zumal Ärzte als Berufsgeheimnisträger auch den Patienteninteressen verpflichtet sind.

6. Darf ein Arzt Unterlagen an die Ermittlungsbehörden herausgeben?

Begehren im Ermittlungsverfahren Strafverfolgungsbehörden Einsicht in Krankenunterlagen ist folgendes zu beachten: Die Schweigepflicht des Arztes gilt grundsätzlich auch gegenüber den Ermittlungsbehörden.

Wollen die Ermittler Einsicht in die Krankenunterlagen nehmen, wird vom Patienten eine schriftliche Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht benötigt. Die freiwillige Herausgabe durch den Arzt, ohne dass der Patient sich damit einverstanden erklärt, ist eine Verletzung des Privatgeheimnisses und nach § 203 StGB strafbar.

7. Wie sollte sich ein Arzt im Strafverfahren verhalten?

Betroffene Ärzte sollten sich keinesfalls ohne vorherige anwaltliche Beratung und Akteneinsicht zur Sache einzulassen.

Im Einzelfall kann eine freiwillige Herausgabe sinnvoll sein, um eine drohende Durchsuchung zu vermeiden. Im anderen Fall sollte die Herausgabe gerade vermieden werden – beispielsweise wenn geschützte Patientinnen-Geheimnisse betroffen sind oder wenn es überhaupt keine Beweise für Verstöße gegen das AMG gibt.

Es sollte daher ein Strafverteidiger zu Rat gezogen werden, um zu beurteilen, ob Unterlagen an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden sollten.

Zur Sicherung der Verfahrensrechte im Rahmen einer Durchsuchung sollte unbedingt ein auf Strafrecht spezialisierter Anwalt benachrichtigt und hinzugezogen werden. Nur so lassen sich mögliche Ausweitungen der Durchsuchung auf Zufallsfunde (z.B. Steuerangelegenheiten) sowie öffentlichkeits- und gegebenenfalls rufschädigende Auswirkungen vermeiden.

 

Aktuelle Ergänzung 1: Berufsverband der Frauenärzte zum angeblichen Verbot der Mehrfachverteidigung

Durch den Berufsverband der Frauenärzte e.V. wurde in einem Rundschreiben die Behauptung verbreitet, es stelle einen Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung dar, wenn ein Rechtsanwalt mehrere Beschuldigte in den betroffenen Ermittlungsverfahren vertrete. Diese Behauptung wird nicht begründet und beruht sowohl auf unzutreffenden Tatsachenbehauptungen als auch auf falschen rechtlichen Schlussfolgerungen.

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen und schriftlich mitgeteilt, dass dort davon ausgegangen wird, dass kein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung vorliegt.

Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. hat seine Behauptung in einem neuen Schreiben vom 06.09.2012 relativiert. Dies erfolgte in Kenntnis der schriflichen Bestätigung der Staatsanwaltschaft, dass dort grundsätzlich keine Bedenken dagegen bestehen, wenn ein Anwalt mehrere Betroffene vertritt.

Aktuelle Ergängzung 2: Schreiben von Sigma Gyn

Viele der betroffenen Ärtzinnen und Ärzte haben inzwischen Schreiben  (ohne Absender; per Fax) erhalten, mit denen versucht wird, das Problem zu bagatellisieren. Bei uns sind verschiedene Schreiben der Firma Sigma zu den Vorwürfen des Zollfahndungsamtes Essen und zu einer Durchsuchungsaktion bekannt. Es wird eine Rechtfertigung nach § 73 AMG behauptet. In einem neuen Schreiben der Firma Sigma wird die Auffassung vertreten, dass die Anwendung eines Arzneimittels keine Abgabe und damit auch kein Inverkehrbringen sei.

Teilweise werden in den Schreiben zutreffend Rechtsprobleme angesprochen, die es zu klären gilt. Teilweise sind die Schreiben jedoch eher als ein Versuch anzusehen, die Händler zu schützen, als die Ärzte zu entlasten.

Aktuelle Ergänzung 3: Schreiben Sigma vom 6. September 2012

Am 6. September 2012 wurde in in den Strafverfahren gegen Frauenärzte des Zollfahndungsamtes Essen ein weiteres Fax der Firma Sigma Gyn vom 06.09.2012 an die Betroffenen verschickt. Der in diesem Schreiben gemachten Aufforderung, „sich zusammenzuschließen“ sollte nicht unkritisch gefolgt werden. Die Interessen der Firma SigmaGyn dürften sich kaum mit den Interessen der Ärtze in Einklang bringen lassen.

Aktuelle Ergänzung 4: Angebot der Zollfahndung Essen, das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen (Oktober 2012)

Im Oktober 2012 wurden die beschuldigten Frauenärztinnen und -ärzte durch die Zollfahndung Essen angeschrieben. Es wurde ihnen eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Zahlung einer Geldauflage angeboten. Die meisten der ursprünglich im Raum stehenden Vorwürfe haben sich inzwischen in Luft aufgelöst. Für die Betroffenen stellt sich nun die Frage, ob man für die „Taube auf dem Dach“ (einen Freispruch oder eine Einstellung ohne Geldauflage) kämpfen soll, oder ob man den „Spatz in der Hand“ (schnelle Erledigung des Verfahrens durch Zahlung einer Geldauflage) kämpfen soll.