Verurteilung eines Strafverteidigers wegen Parteiverrats

Parteiverrat durch Strafverteidiger

I. Parteiverrat durch Strafverteidiger bei der Vertretung mehrerer Beschuldigter?

Ein Anwalt darf nicht zugleich mehreren Herren dienen. Insbesondere in seiner Stellung als Strafverteidiger ist er allein den Interessen seines Mandanten verpflichtet. Diese Stellung des Anwalts wird bekräftigt durch den Tatbestand des Parteiverrats (§ 356 StGB). Ein Anwalt, der gleichzeitig widerstreitende Interessen mehrere Mandanten vertritt, macht sich strafbar.

Was aber ist, wenn die Mandanten mit der gleichzeitigen Verteidigung durch einen Rechtsanwalt einverstanden sind? Und wann liegt überhaupt ein Interessengegensatz vor?

In diesem Bereich sind viele Rechtsfragen im Detail ungeklärt. Die grauen Flecken in der Rechtslage führen immer wieder dazu, dass Staatanwälte fragwürdige Ermittlungsverfahren gegen Verteidiger einleiten.

Strafverteidiger, die von derartigen Verfahren betroffen sind, verdienen die uneingeschränkte Solidarität ihrer Kollegen.

II. Verurteilung eines Rechtsanwalts in Nürnberg wegen Parteiverrats

Die Nürnberger Nachrichten berichteten in ihrer Ausgabe am 09.05.2018 über ein Urteil des Amtsgerichts Nürnberg in einem Nürnberger Strafverfahren.

„Die Justiz hat meine angebliche Straftat ja erst erzeugt“ – „Parteiverrat bringt Nürnberger Anwalt hohe Geldstrafe ein: Er hatte in einem Drogenverfahren gleichzeitig zwei Beschuldigte beraten.“

Nürnberger Nachrichten vom 09.05.2018, S. 11, Artikel von Ulrike Löw

In dem Verfahren hatte der Rechtsanwalt zwei Beschuldigte verteidigt, die in Verdacht gerieten, für einen verurteilten „Drogenkönig“ als Zwischenhändler bzw. Abnehmer tätig gewesen zu sein. Der „Drogenkönig“ hatte mit Komplizen Kokain von Spanien nach Nürnberg geschmuggelt. Das Kokain wurde in einem argentinischen Steak-Lokal in der Nürnberger Innenstadt verkauft. Es ging damals um zwei Kilogramm Kokain in bester Qualität. Die Hauptangeklagten, unter ihnen der als „Faschings-Prinz“ bekannte „Drogenkönig“, machten in dem vorangegangenen Betäubungsmittel-Strafverfahren von der sogenannten Kronzeugenregelung des § 31 BtMG Gebrauch und erhielten einen hohen Strafrabatt.

Aufgrund der Aussagen der Haupttäter wurden umfangreiche neue Ermittlungen gegen mutmaßliche Beteiligte an dem Drogen-Ring aus der Nürnberger Szene eingeleitet. Zwei der neuen Beschuldigten, gegen die aufgrund der Kronzeugen-Aussagen jeweils eigene Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren, wandte sich in der Folgezeit an den nun verurteilten Rechtsanwalt. Der Anwalt konnte zunächst gar nicht ahnen, dass die Vorwürfe gegen die beiden neuen Mandanten im Zusammenhang standen. Einer der beiden Beschuldigten wurde im Ergebnis nach einer Absprache mit dem Gericht verurteilt. Der andere bestritt, an dem Geschehen beteiligt zu sein. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde letztlich eingestellt.

Gleichwohl leitete die Staatsanwaltschaft Nürnberg gegen den Rechtsanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Parteiverrats ein. Ihm wurde zuvor die Einstellung des Strafverfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage angeboten.

Der Anwalt, der nun selbst ins Visier der Strafverfolgungsbehörde geraten war, schlug dieses Angebot aus.

Daraufhin kam es nun zu der Verurteilung, über die die Nürnberger Nachrichten berichtete. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Es ist zu hoffen, dass der Kollege in der höheren Instanz, d.h. im Rahmen einer Berufung oder Revision, freigesprochen wird.

Die Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Parteiverrats durch Strafverteidiger stellen, sind dringend zu klären. Dies liegt im Interesse aller Beteiligten – nicht zuletzt der Mandanten.

Dazu bedarf es mutiger Strafverteidiger, die bereit sind, den Kampf auch im eigenen Namen zu führen. Respekt!

III.  Der Tatbestand des Parteiverrats, 356 StGB

356 StGB (Parteiverrat) lautet:

„Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

1)     Wann liegt ein Interessengegensatz vor?

Objektiv setzt der Tatbestand einen Interessengegensatz der jeweiligen Mandanten voraus. Wenn die gleichzeitige Tätigkeit eines Rechtsanwalts keiner der Parteien nachteilig werden kann, scheidet § 356 StGB von Vornherein aus (vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, § 356, Rn. 11).

Mit Urteil vom 16.12.1952 (2 StR 198/51 = NJW 1953, S. 472 ff.) hatte der Bundesgerichtshof ursprünglich entschieden, dass zwischen Teilnehmern an derselben strafbaren Handlung keine vom Recht geschützten Beziehungen bestehen. Daraus wurde gefolgert, dass die Beteiligten eines Strafverfahrens schon nicht als „Parteien“ im Sinne von § 356 StGB zu qualifizieren sind. Das Interesse am Ausgang des jeweils gegen den anderen gerichteten Verfahrens sei rein faktischer Natur. Eine Rechtsbeziehung, wie sie beispielsweise zwischen Gegnerm eines Zivilprozesses besteht, haben potenziell Beteiligte einer Straftat, gegen die in verschiedenen Verfahren ermittelt wird, nicht (vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1955, S. 880, mit Nachweisen zu der damals überwiegend zustimmenden Kommentarliteratur).

Diese Rechtsprechung wird zwar inzwischen nicht mehr aufrechterhalten. Der Gedanke, dass bei der Auslegung und Anwendung des § 356 StGB ein erhöhtes Augenmerk auf die konkreten „Parteien“ sowie deren tatsächliche und rechtliche Beziehung untereinander zu legen ist, ist indes nach wie vor von Bedeutung. Insbesondere liegt ein Interessenkonflikt – anders als beispielsweise bei Gegnern in einem Zivilprozess – bei verschiedenen Beteiligten eines Strafverfahrens nicht ohne weiteres auf der Hand.

Auch nach der neueren Rechtsprechung fehlt es an einem Interessengegensatz als konstitutives Tatbestandsmerkmal des § 356 StGB, wenn ein Anwalt gleichlaufende, d.h. nicht entgegengesetzte Interessen mehrerer Beschuldigter wahrnimmt (vgl. beispielsweise das Urteil des BGH vom 13.07.1982, 1 StR 245/82 = NStZ 1982, S. 465; vgl. dazu auch OLG Stuttgart v. 25.04.1990, NStZ 1990, S. 542).

In dem Urteil vom 13.07.1982 führte der 1. Strafsenat des BGH aus:

„Ein Beschuldigter braucht nicht zu offenbaren, dass er Tatgenossen hatte. Wenn und solange er sie aus Motiven deckt, die sein Handeln als autonom bestimmtes Verhalten erscheinen lassen und wenn und solange er sich über die möglichen nachteiligen Konsequenzen seines Verhaltens im Klaren ist und sie aus freien Stücken auf sich nimmt, darf der Verteidiger diese Verteidigungsstrategie hinnehmen. Tut er es, wie der Angeklagte, auch im Interesse eines „gedeckten“ Tatgenossen, nimmt er gleichlaufende, nicht aber entgegengesetzte Interessen war.“

Ob die Interessen der jeweiligen Interessen gleichlaufen oder sich widersprechen ist also – entgegen der Auffassung mancher Staatsanwälte – in erster Linie danach zu bestimmen, was diese wirklich wollen. Nicht danach, dass diese aus Sicht der Strafverfolger zu wollen haben oder wollen sollten.

Ein individuelles Geständnis eines der Tatbeteiligten ist seine eigene freie Entscheidung. Er verfolgt damit das Verteidigungsziel, sich eine günstige Ausgangslage im Hinblick auf eine mögliche Strafzumessung bzw. Einstellung des Verfahrens zu verschaffen.

Wenn ein anderer Beteiligter sich ebenfalls dazu entschließt, zu gestehen,  dürfte schon objektiv kein Interessengegensatz vorliegen.

Aber auch wenn ein anderer Beteiligter schweigt oder die Tat bestreitet, ist das Vorliegen eines objektiven Interessengegensatzes keinesfalls sicher. Denn in dieser Konstellation muss erst einmal nachgewiesen werden, ob es überhaupt jemals eine Tat gab, aus der heraus ein Interessengegensatz hätte entstehen können.

2)     Argumentation der Staatsanwaltschaft

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Ein Strafverteidiger muss immer die innere Freiheit haben, seinem Mandanten zur sogenannten Aufklärungshilfe zu raten. Wenn ein Mandant potenziell eine Aussage gegen einen anderen Mandaten machen könnte, dann fehlt es an dieser inneren Freiheit. Damit liegt stets ein Interessenkonflikt vor – selbst dann, wenn beide Mandanten gar nicht vorhaben, sich gegenseitig zu belasten oder ohnehin beteuern, nichts mit der Sache zu tun zu haben.

Diese Argumentation der Staatsanwaltschaft verkennt die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Die Verteidigungsstrategie, die ein Beschuldigter wählt, ist immer eine höchstpersönliche subjektiven Entscheidung. Ein Rechtsanwalt als Strafverteidiger kann bei derartigen Entscheidungen immer nur beratend zur Seite stehen, d.h. über die möglichen rechtlichen und tatsächlichen Folgen einer Entscheidung aufklären bzw. eine Prognoseentscheidung abgeben. Die Entscheidung selbst hat der Mandant im Ergebnis alleine zu treffen.

In Wirklichkeit geht es bei der Argumentation der Staatsanwaltschaft daher nicht um die Interessen der Mandanten.

Vielmehr stehen dahinter die Interessen der Staatsanwaltschaft selbst. Denn es liegt in deren Interesse, wenn sich möglichst viele Beschuldigte dazu entschließen, sich gegenseitig zu belasten.

Ein Rechtsanwalt, der derartige Interessen der Staatsanwaltschaft über die konkreten Ziele seiner Mandanten stellen würde, hätte seinen Beruf verfehlt.

3)     Grenzen des subjektiven Interesses?

Die Frage, ob bzw. in welchem Umfang es mehreren Mandanten freisteht, sich gleichzeitig von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, ist im Detail nach wie vor umstritten.

Anmerkung: Es handelt sich dabei nicht um einen Fall des § 146 StPO, d.h. um das Verbot der Mehrfachverteidigung. Denn dieses knüpft an den Begriff der „prozessualen Tat“ an. Dieser ist enger als der Begriff „derselben Rechtssache“ i.S.v. § 356 StGB.

Die vom Amtsgericht Nürnberg vertretene Rechtsauffassung, wonach schon ein abstrakter Konflikt im Hinblick auf § 31 BtMG oder sonstige Aufklärungshilfe dazu führen könnte, dass ein Rechtsanwalt trotz gleichlaufendem Auftrag nicht mehrere potenziell Beschuldigte gleichzeitig vertreten kann, findet, soweit ersichtlich, keine Stütze in der Kommentarliteratur bzw. der zu § 356 StGB ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Im Zusammenhang mit § 31 BtMG wird in der Kommentierung von Thomas Fischer unter Rn. 6a zu § 356 StGB lediglich ausgeführt, dass die Verteidigung eines Beschuldigten in einer BtM-Sache nach früherer Verteidigung des jetzigen Hauptbelastungszeugen, auf dessen nach § 31 BtMG gewürdigte Aussage das Verfahren beruht, ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NStZ 2006, S. 404 ff. = BGH v.15.11.2005, 3 StR 327/05). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch offenkundig nicht vor. In dem von Fischer zitierten Fall ging es im Übrigen nicht um die Strafbarkeit eines Verteidigers, sondern darum, ob ein Pflichtverteidiger ohne vorherige Anhörung des Angeklagten (!) durch das Gericht bestellt werden darf, wenn dieser zuvor einen Belastungszeugen i.S.v. § 31 BtMG vertreten hatte.

In dieser Konstellation ließ der BGH ausdrücklich offen, ob eine Bestellung zulässig gewesen wäre, wenn alle Beteiligten in Kenntnis aller Umstände einverstanden gewesen wären:

„Ob dem Angeklagten die mögliche (Anm.: Hervorhebung nicht im Original) Interessenkollision erst später bekannt geworden ist oder er sie schon gekannt hatte, als er den Wunsch auf Bestellung von Rechtsanwalt M. als Pflichtverteidiger äußerte, kann dahingestellt bleiben, weil die Vorsitzende die hier gebotene Anhörung von Verteidiger und Angeklagten (vgl. BGHSt aaO, S. 174) nicht durchgeführt hat.“

Dementsprechend äußerte sich der BGH auch nicht dazu, ob der bestellte Pflichtverteidiger sich nach § 356 StGB (oder der bestellende Richter, vgl. §§ 26, 27 StGB) in dieser Konstellation strafbar gemacht haben.

Ausgangspunkt der Kommentarliteratur und der Rechtsprechung ist die wirkliche Interessenlage der Parteien, die vom tatsächlichen Willen derselben bestimmt wird (vgl. Fischer, § 356 StGB, Rn. 7). Vgl. dazu auch KG Berlin v. 10.05.2006, (3) 1 Ss 409/05 (139/05) (= NStZ 2006, 688 ff.; zitiert bei Fischer, § 356 StGB, Rn. 11):

„Entscheidendes Kriterium der Pflichtwidrigkeit in § 356 StGB ist die Gegensätzlichkeit der Mandanteninteressen, wobei es ausschließlich auf die wirkliche Interessenlage ankommt. Maßgeblich ist nicht, welches Verhalten objektiv im Interesse der vertretenen Partei liegt, sondern welches Ziel diese subjektiv verfolgt haben will und welchen Inhalt der dem Rechtsanwalt erteilte Auftrag hat [vgl. BGHSt 5, 301, 307]. Ob die Mandanten mit der Vertretung einverstanden gewesen sind, ist nur von Bedeutung, wenn dieses Einverständnis den Interessengegensatz und damit die Pflichtwidrigkeit völlig aufhebt [vgl. BGHSt 15, 332, 335 ff.]. Ebenso wenig ist – jedenfalls für § 356 Abs. 1 StGB – erforderlich, dass eine Verletzung der Interessen beabsichtigt oder eingetreten ist, denn § 356 StGB schützt auch das Vertrauen in die Integrität der Rechtspflege [vgl. BGHSt a.a.O.]. Danach werden zwar in aller Regel die Interessen eines angeklagten Täters denjenigen seines Opfers unversöhnlich gegenüberstehen, eine Vertretung beider durch einen Rechtsanwalt schließt dies jedoch nicht von vornherein aus. Sie ist dann nicht pflichtwidrig, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwaltes keinem seiner Mandanten zum Nachteil gereichen kann.“

In dem vom KG Berlin entschiedenen Fall hatte ein Rechtsanwalt gleichzeitig einen Beschuldigten gegen den Vorwurf der Körperverletzung verteidigt sowie einen Entlastungs-Zeugen im Zusammenhang mit einem gegen diesen erhobenen Vorwurf der Falschaussage.

Streitig ist im Rahmen des § 356 StGB jedoch, ob es Einschränkungen des maßgeblichen subjektiven Willens dergestalt gibt, dass es auf einen abstrakten, und nicht auf einen konkreten Interessengegensatz ankommt (vgl. die Nachweise bei MüKo-StGB/Dahs § 356 Rn. 53 f.; SK-StGB/Rogall § 356 Rn. 31 ff.; Kudlich, in Satzger / Schluckebier / Widmaier, § 356 StGB, Rn. 31).

Die Rechtsprechung verfolgt überwiegend einen – zutreffenden – subjektiven Ansatz (vgl. BGHSt 7, 17, 20 = BGH, 02.12.1954, 4 StR 500/54 = NJW 1955, 150; BGH v. 24.06.1960, 2 StR 621/59 = NJW 1961, 929; KG Berlin v. 10.05.2006 – (3) 1 Ss 409/05 (139/05) = NStZ 2006, 688; OLG Hamm 09.10.2014 – 4 Ws 227/14 R). In diesem Rahmen wird zwar das Wesen des § 356 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt aufrechterhalten, was dazu führt, dass ein Einverständnis eines Beteiligten grundsätzlich den Tatbestand nicht entfallen lässt. In den Fällen tatsächlichen allseitigen Einverständnisses beseitigt dieses jedoch regelmäßig die Gegensätzlichkeit der Interessen (vgl. Fischer, § 356 StGB, Rn. 13).

Ob bzw. in welchem Umfang dem subjektiven Parteiwillen durch eine objektivierte – überindividuelle –  Bestimmung der jeweiligen Interessen Grenzen gesetzt sind, ist im Detail noch nicht geklärt. Diese Frage ist u.a. davon abhängig, welches Rechtsgut man durch den Straftatbestand des § 356 StGB als geschützt ansieht. Dies wiederum ist äußerst umstritten (vgl. mit näheren Nachweisen zum Streitstand LK/Gillmeister § 356 Rn. 3 ff.; Mennicke ZStW 112 (2000), 834, 841 ff.; Kretschmer Der strafrechtliche Parteiverrat, 2005, S. 15 ff.). Im Ausgangspunkt geht es um die Frage, ob (eher bzw. ausschließlich) ein überindividuelles Rechtsgut oder aber die „verratene“ Partei geschützt sein soll. Die heute h.M. bezieht beides in den Schutzbereich ein (vgl. Fischer, § 356 StGB, Rn. 2, m.w.N.).

Die Grenzen des allseitigen Einverständnisses bei der Bestimmung des Parteiwillens wären dann erreicht, wenn überindividuelle Rechtsgüter miteinander kollidieren, die nicht zur Disposition der jeweiligen Mandanten stehen.

Im Fall des § 356 StGB ist das im Raum stehende überindividuelle Rechtsgut das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Integrität der Anwaltschaft (vgl. BVerfG v. 24.05.2001, 2 BvR 1373/00NJW 2001, 3180 ff.).

Die Position des Rechtsanwalts in der Rechtspflege wird allgemein in § 1 BRAO definiert: Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. In § 3 BRAO wird diese Stellung weiter konkretisiert. Danach ist der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.

Konkret zur Stellung des Rechtsanwalts als Strafverteidiger führt das BVerfG in der „Geldwäsche-Entscheidung“ (Urteil vom 30. März 2004, 2 BvR 1520/01) aus:

„Die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 15, 226 <234>; 50, 16 <29>; 63, 266 <284>; Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2003 – 1 BvR 238/01 -, NJW 2003, S. 2520). Der Schutz der anwaltlichen Berufsausübung vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung liegt dabei nicht allein im individuellen Interesse des einzelnen Rechtsanwalts oder des einzelnen Rechtssuchenden. Der Rechtsanwalt ist „Organ der Rechtspflege“ (vgl. §§ 1 und 3 BRAO) und dazu berufen, die Interessen seines Mandanten zu vertreten (vgl. BVerfGE 10, 185 <198>). Sein berufliches Tätigwerden liegt im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege (vgl. BVerfGE 15, 226 <234>; 34, 293 <302>; 37, 67 <77 ff.>; 72, 51 <63 ff.>).“

In diesen Formulierungen wird deutlich, dass es zum Berufsbild des Strafverteidigers gerade nicht gehört, im Interesse der Staatsanwaltschaft auf eine möglichst umfassende Sachaufklärung hinzuwirken (wobei hier dahinstehen kann, ob Aussagen nach § 31 BtMG in diesem Sinne stets geeignet sind, die Wahrheit ans Licht zu fördern). Folglich kann das Interesse der Staatsanwaltschaft an möglichst umfassender Sachaufklärung auch nicht zum durch § 356 StGB geschützten Rechtsgut gehören.

Problematisch an der vorliegenden Konstellation könnte im Hinblick auf das Berufsbild des Rechtsanwalts als einseitiger Interessenvertreter allenfalls die Frage sein, ob ein Rechtsanwalt, der in dem einen Verfahren tätig war, auch in dem anderen Verfahren noch „unabhängig“ sein kann. Diese Frage wurde – soweit ersichtlich – im Zusammenhang anwaltlicher Tätigkeit noch nicht entschieden.

Es gibt jedoch eine Reihe von Entscheidungen, die klarstellen, dass ein Richter, der einen ehemaligen Beschuldigten, der von § 31 BtMG Gebrauch gemacht hat, verurteilt hat, allein aus diesem Grund noch nicht befangen ist (vgl. BGH, NStZ 1991, 27; s.a. BGHSt 50, 221). Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass ein verständiger Angeklagter davon ausgehen kann und muss, dass ein Richter sich dadurch nicht für künftige Entscheidungen festgelegt hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 24, Rn. 12). Wenn das Ansehen der Richterschaft, deren Unabhängigkeit von Verfassung wegen garantiert und geboten ist (vgl. Art. 97 GG), durch entsprechende Konstellationen nicht im Ansehen seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt wird, so muss dies erst recht für das Ansehen der Anwaltschaft gelten.

4)     Vorsatz des Rechtsanwalts?

Ein Verteidiger, der sich in den beschriebenen Konstellationen der gleichzeitigen Verteidigung beim Gerichts als Rechtsanwalt anzeigt, handelt transparent. Er hat nichts vor der Justiz zu verbergen.

Häufig bestellen Richter sogar Rechtsanwälte zum sogenannten Pflichtverteidiger – obwohl sie selbst von der doppelten Stellung wissen. So war es auch in dem Fall, der nun durch das Amtsgericht Nürnberg entschieden wurde.

Man sollte meinen, dass selbstverständlich kein strafbarer Vorsatz eines Rechtsanwalts angenommen werden kann, wenn ein Richter kein Problem darin sieht, ihn als Verteidiger zu akzeptieren und sogar amtlich zu bestellen.

Wer dies anders sieht, müsste wenigstens konsequent sein und dann auch ein Strafverfahren gegen den Richter einleiten, wegen des Verdachts der Rechtsbeugung und / oder der Beihilfe zum Parteiverrat.

Eine solche Konsequenz ist in den Fällen, bei denen es bisher zu der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Rechtanwälte kam, nicht zu erkennen. Die Justiz ist offenbar nicht immer gleich blind.

IV. Fazit

Viele Rechtsanwälte würden ein Mandat, in dem ein potenzieller Interessenkonflikt droht, wohl von Anfang an nicht annehmen – bzw. unverzüglich niederlegen, sobald ein solcher erkennbar wird.

Gleichwohl handelt es sich bei der einverständlichen gleichzeitigen Verteidigung nicht immer um eine Straftat.

Es ist zu hoffen, dass dies auch bald durch höhere Gerichte klargestellt wird.

Das Vertrauen in die Justiz wäre nachhaltig beschädigt, wenn auch nur der Eindruck entstehen könnte, dass Strafverfahren gegen „unliebsame“ Rechtsanwälte nur deshalb eingeleitet werden, um diese willfährig zu machen.