Neue Entwicklungen in den Strafverfahren gegen Frauenärzte

Strafverfahren gegen Frauenärzte

Seit dem Sommer 2012 kam es zu massenweisen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Frauenärztinnen und Frauenärzte in ganz Deutschland. Es bestand der Verdacht, dass bei der Abgabe von Verhütungspräparaten an die Patientinnen direkt in der Praxis irgendetwas „nicht mit rechten Dingen zugegangen“ sein soll. Im Zusammenhang mit der Vertriebsfirma „Sigma Gyn“ wurden die Strafverfahren einheitlich durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal an sich gezogen. Gegen Ärztinnen und Ärzte, die entsprechende Präparate von der Firma Anthemis bestellt hatten, wurden die Verfahren zunächst von der Zollfahndung Hof geführt und dann an die jeweils örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland abgegeben.

In dem Anthemis-Komplex, in welchem eine Vielzahl von Staatsanwälten in jeweils unterschiedlichen Städten jeweils eine eigene rechtliche Prüfung vornahm, wurde die Mehrzahl der Verfahren frühzeitig eingestellt. Die große Mehrheit aller Juristen, die sich intensiver mit der zu Grunde liegenden Rechtslage auseinandergesetzt hatten, kam zu dem Ergebnis, dass kein strafbares Verhalten der Ärzte vorliegt.

Hartnäckiger verhielt sich die Staatsanwaltschaft Wuppertal. Dort beharrte man auf dem rechtlich fragwürdigen Standpunkt, dass ein Straftatbestand erfüllt sei. Eine Einstellung des Verfahrens bot man in Wuppertal den Ärzten nur gegen die Zahlung von zum Teil schmerzhaften Geldauflagen an. Die Höhe der Geldauflage sollte sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Wuppertal dabei an der Summe der insgesamt bestellten Präparate (bzw. 2/3 davon) orientieren.

Druck zur Zahlung

Viele Ärzte beugten sich dem Druck und zahlten. Angesichts der Alternative, nämlich einen langwierigen, öffentlichen und gegebenenfalls auch kostspieligen Prozess führen zu müssen, schien ihnen das Nachgeben als die klügere Variante. Auch Berufsverbände empfahlen ihren Mitgliedern teilweise, sich auf das fragwürdige Angebot der Staatsanwaltschaft Wuppertal einzulassen. Nach einem Bericht des Magazins Spiegel-Online sollen in Wuppertal über 1,6 Mio. Euro an Geldauflagen geflossen sein.

Doch auch in dem Sigma-Komplex gab es eine ganze Reihe von Betroffenen, die an das Recht glaubten und der pauschalen Zahlungsaufforderung der Ermittler nicht nachkamen. Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft versuchte zunächst, ein „Musterverfahren“ zu inszenieren. Das Musterverfahren scheiterte,  da sich das angerufene Gericht für örtlich unzuständig erklärte und dabei klarstellte, dass für jeden Arzt sein Heimatgericht zu entscheiden hat. Daraufhin kam es im Jahr 2014 zur Abgabe sämtlicher Verfahren, die bis dahin noch nicht abgeschlossen waren, an die jeweils zuständigen Ermittlungsbehörden in den Wohnorten der einzelnen betroffenen Ärzte.

Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Nachdem nun auch in dem Sigma-Komplex eine Vielzahl von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in ganz Deutschland involviert waren, zeichnete sich eine ähnliche Entwicklung ab, die bereits in dem Anthemis-Komplex stattgefunden hatte. Anders als die Wuppertaler Behörden gelangten die allermeisten Fahnder schnell zu dem Ergebnis, dass keine Straftat durch die Ärzte begangen worden war. Die Mehrzahl der Verfahren wurden kurz nach dem Wechsel des Sachbearbeiters eingestellt.

Aktuell sind noch einige Verfahren offen (Stand Januar 2015). Es sind – abgesehen von den Wuppertaler Einstellungen gegen Geldauflage – folgende Verfahrensabschlüsse bekannt:

Komplex SIGMA:

§ 170 II StPO (Einstellung mangels Strafbarkeit)
Datum  Staatsanwaltschaft
07.07.2014 Berlin
07.10.2014 Hechingen
25.11.2014 Neuruppin
04.12.2014 Kiel
06.11.2014 Amberg

 

§ 153a StPO (Einstellung gegen Geldauflage)
Datum  Staatsanwaltschaft
25.09.2014 Ellwangen 1.000,00 €
30.07.2014 Traunstein 500,00 €
15.09.2014 Ingolstadt 1.500,00 €
02.10.2014 Potsdam 8.000,00 €
23.10.2014 Heidelberg 1.000,00 €

 

§ 153 StPO (Einstellung wegen Geringfügigkeit)
Datum  Staatsanwaltschaft
02.12.2013 Wuppertal
19.12.2013 Wuppertal
06.08.2014 Kempten
06.10.2014 Schweinfurt
27.01.2015 Siegen

Das ursprüngliche „Muster-Verfahren“, das von der Staatsanwaltschaft Wuppertal initiiert worden war, soll inzwischen auch von dem örtlich zuständigen Amtsgericht Oldenburg gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden sein.

Komplex ANTHEMIS:

§ 170 II StPO (Einstellung mangels Strafbarkeit)
Datum  Staatsanwaltschaft
08.04.2013 Hechingen
17.07.2014 Hauptzollamt Münster
09.04.2013 Frankfurt am Main
12.07.2013 Köln
28.03.2013 München II
23.04.2013 Würzburg

 

§ 153a StPO (Einstellung gegen Geldauflage)
Datum  Staatsanwaltschaft
10.10.2013 Chemnitz 800,00 €

Gemäß einer Auskunft des Zollfahndungsamts München – Dienstsitz Nürnberg – vom Juli 2014 sind darüber hinaus noch folgende Verfahrenseinstellungen in Bayern aus dem Anthemis-Komplex bekannt:

Verfahrensanzahl Sachausgang
7 § 170 II StPO
1 § 154 I StPO
6 § 153 I StPO
2 § 153a StPO (1 x 1.500,00 €, 1 x 6.000,00 €)

Praxis-Durchsuchungen

Sowohl in dem Sigma-Komplex, als auch in den Anthemis-Verfahren gab es einige Ausreißer. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ließ eine Arztpraxis durchsuchen, nachdem von Seiten eines  beschuldigten Arztes ein Angebot auf Zahlung einer Geldauflage gemacht worden war, welches den Ermittlern offenkundig „zu niedrig“ war. Auch dieses Verfahren wurde inzwischen gemäß § 153a StPO eingestellt. Eine Gerichtsentscheidung, die zu dem Ergebnis kam, dass ein strafbares Verhalten vorlag, gab es auch in diesem Fall nie. Die Rechtmäßigkeit der Praxis-Durchsuchung wird aufgrund einer Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 2 BvR 988/14) von RA Dr. Tobias Rudolph derzeit noch vom Bundesverfassungsgericht überprüft.

Auch in einem Fall aus dem Sigma-Komplex kam es in Bayern in einem Einzelfall zu einer Durchsuchung der Arztpraxis. Man konnte sich des Eindrucks, dass hier nach dem Motto „erst handeln, dann denken“ verfahren worden war, nicht erwehren. Auf die entsprechenden Beschwerden hin wurde das Verfahren ebenfalls bald eingestellt – mit einer deutlich geringeren Geldauflage, als sie noch von den Wuppertaler Behörden verlangt worden war.

Funktioniert der Rechtsstaat?

Viele der betroffenen Ärztinnen und Ärzte haben ihren Glauben an den Rechtsstaat verloren.

Die allermeisten von ihnen waren zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Strafverfahren konfrontiert und konnten sich nicht vorstellen, wie schwierig es sein kann, Recht zu bekommen, wenn sich ein Ermittler erst einmal „fest gebissen“ hat. Vielen drängte sich der Eindruck auf, dass hier in einer Art „kollektiver Erpressung“ Geldzahlungen eingetrieben werden sollten und dass in Wirklichkeit niemand ein Interesse daran hatte, die Rechtslage ernsthaft und verbindlich zu klären. Wäre dies gewollt gewesen, so hätte man frühzeitig ein Musterverfahren mit einem Arzt führen können, der hierzu freiwillig bereit gewesen wäre (beispielsweise Betroffene, die aufgrund einer altersbedingten Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit die unvermeidlichen negativen Auswirkungen eines Strafverfahrens nicht zu befürchten hatten). Entsprechende Angebote auf gerichtliche Klärung in einem transparenten Prozess durch die Verteidigung und Berufsverbände wurden von allen Staatsanwälten ignoriert. Stattdessen setzte man den Ärzten die „Pistole auf die Brust“ und forderte Sie unter Androhung von berufsschädigenden Maßnahmen zur Zahlung auf.

Aus einer etwas optimistischeren Perspektive kann der ganze Vorgang von heute aus betrachtet jedoch auch als ein Beleg dafür interpretiert werden, dass in Deutschland der Rechtsstaat immer noch funktioniert. Denn nach eingehender juristischer Prüfung kam die überwiegende Anzahl der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu dem zutreffenden Ergebnis, dass kein strafbares Verhalten vorliegt. Zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom Dezember 2014 deuten ebenfalls darauf hin, dass die Pönalisierung des Umgangs mit ausländischen Medikamenten im Medizinstrafrecht Grenzen hat.

Die Entwicklung der jeweiligen Verfahren verdeutlicht jedoch auch, dass der Kampf ums Recht nicht ohne Risiko- und Kampfbereitschaft zu führen ist. Für die Mehrheit derjenigen Ärztinnen und Ärzte, die bereit waren, den Kampf zu führen, hat sich diese Entscheidung am Ende als richtig erwiesen.