Steuerstrafrecht: Ermittlungen wegen Cum-Ex-Geschäften

Seit Oktober 2014 finden im Kontext mit Cum-Ex-Geschäften Ermittlungen durch mehrere Staatsanwaltschaften statt, die bereits mehrfach zu Büro- und Wohnungsdurchsuchungen geführt haben.

Wobei handelt es sich bei Cum-Ex-Geschäften eigentlich? Und worin liegt die mögliche Strafbarkeit?

Cum Ex Steuerstrafverfahren

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Wie funktionieren Cum-Ex-Geschäfte?

Mit Cum-Ex-Geschäften konnten Investoren Steuern zurückfordern, die sie vorher gar nicht gezahlt haben. Die Funktionsweise dieser auch als Dividendenstripping bezeichneten Geschäfte soll anhand eines vereinfachten Beispiels geschildert werden. Die Zahlen sind dabei völlig willkürlich gewählt, Kurschwankungen bleiben ebenso außer Acht, wie Kurssicherungsgeschäfte, mit der in der Praxis mögliche Kursrisiken abgefedert werden.

Der Aktionär A hält Aktien des Unternehmens U im Wert von 100.000,00 Euro. Der erste Akt des Cum-Ex-Geschäfts spielt sich kurz vor dem Tag der Dividendenausschüttung ab, der auch als „Ex-Tag“ bezeichnet wird. Im Idealfall wird die (Brutto-)Dividende an diesem Tag vom Börsenkurs abgezogen, schließlich haben die Aktionäre die Dividende ausgezahlt bekommen und ein Käufer der, die Aktie einen Tag später erwirbt, bekommt die Dividende gerade nicht ausbezahlt. Der Tag vor der Dividendenausschüttung wird als „Cum-Tag“ bezeichnet. Der Kursunterschied im idealisierten Fall beträgt zwischen Cum-Tag und Ex-Tag also genau die in der Hauptversammlung festgelegte Dividende. Wir können festhalten: Vor der Dividendenzahlung ist der Kurs der Aktie mit Dividende (cum: lat. „mit“), nach der Dividendenzahlung wird von dem Aktienkurs die Dividende herausgerechnet (lat. ex: von/aus, heraus).

Spätestens am Cum-Tag kauft nun ein Investor B von einem ausländischen Investor C Aktien des Unternehmens U – im Wert von 100.000,00 Euro. Der ausländische Investor C besitzt aber überhaupt keine Aktien des Unternehmens U. Es handelt sich um einen sogenannten Leerverkauf, d.h. um seine Lieferverpflichtung gegenüber B erfüllen zu können muss sich Investor C sich selbst die Aktien besorgen. Das ist für sich genommen jedoch nicht ungewöhnlich, Leerverkäufe sind alltäglich.

Es folgt der Ex-Tag: A erhält die Dividende auf seine Aktien des Unternehmens U – an ihn werden 4.000,00 Euro ausgeschüttet. Tatsächlich ausgezahlt wird an A allerdings nicht die volle Dividende, sondern nur ein Betrag von 3.000,00 Euro. Das Unternehmen behält nämlich 25 % der Dividende für den Staat als Kapitalertragssteuer zurück. Für die einbehaltenen 1.000,00 Euro erhält A aber eine Bescheinigung, mit der er sich die Kapitalertragssteuer unter Umständen zurückerstatten lassen kann. Die Aktien des Unternehmen U, die A in seinem Depot hält sind nach der Ausschüttung der Dividende nur noch 96.000,00 Euro wert (Kurs ex-Dividende).

Zum Tageskurs von 96.000,00 Euro verkauft A seine Aktien jetzt an den ausländischen Investor C. C kann damit seine Verpflichtung aus dem Leerverkauf an B erfüllen. Das „Problem“ für B ist nun, dass er zwar 100.000,00 Euro an C bezahlt hat, von diesem jedoch nur Aktien im Wert von 96.000,00 Euro erhält (Kurs ohne Dividende). Deshalb kommt es zu einer Ausgleichszahlung von C an B in Höhe von 3.000,00 Euro – die (Netto-)Dividende ohne Steuer. Für die fehlenden 1.000,00 Euro kann sich B von seiner Depotbank eine Steuerbescheinigung ausstellen lassen mit der er sich – ebenso wie vorher A – unter Umständen die Steuer zurückerstatten lassen kann. Wirtschaftlich ist B genauso gestellt, wie A. Anders als A bei der Dividendenausschüttung wurde von B aber gerade keine Kapitalertragssteuer entrichtet, so dass der Anspruch auf Steuererstattung gegen das Finanzamt eigentlich keine Grundlage hat.

Es folgt der letzte Streich: B verkauft die Aktien zum aktuellen Kurs von 96.000,00 Euro an den ursprünglichen Besitzer A zurück. Für A ist damit wieder alles beim Alten zu sein. Er hat wiederum Werte in Höhe von 100.000,00 Euro, nämlich die Aktien, die aktuell 96.000,00 Euro wert sind, die Dividendenausschüttung in Höhe von 3.000,00 Euro und die Steuerbescheinigung, mit der er sich die restlichen 1.000,00 Euro der Dividende vom Finanzamt erstatten lassen kann. Eine solche Steuerbescheinigung, mit der vom Finanzamt 1.000,00 Euro zu erstatten sind, hat aber auch B, obwohl er – anders als A – niemals Steuern bezahlt hat.

Dieser „aus dem Nichts“ entstandene Anspruch in Höhe von 1.000,00 Euro wird nun üblicherweise zwischen den drei Beteiligten, nämlich den Investoren A, B und C aufgeteilt.

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Geld aus dem Nichts – Wie konnte das funktionieren?

Möglich machte diese Art von Geschäften § 39 AO. Die Norm regelt, wem welche Wirtschaftsgüter steuerrechtlich zuzurechnen sind. Bei einem Wertpapiergeschäft um den Dividendenausschüttungstag herum können das zwei Personen sein. Zum einen der zivilrechtliche Inhaber des Papiers als rechtlichem Eigentümer – in unserem Beispiel: A – und zum anderen der Erwerber als wirtschaftlicher Eigentümer – in unserem Beispiel: B.

Das Geschäftsmodell ist alles andere als neu. So hat der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Finanzgericht, bereits 1999 entschieden, dass es grundsätzlich legal ist. Diese Rechtsprechungslinie hat er in den folgenden Jahren mehrfach bestätigt. Da es jeweils um Einzelfragen ging, kann man sich trefflich darüber streiten, inwieweit die Urteile für Cum-Ex-Deals insgesamt gelten. Teile der Fachliteratur, vor allem aber die Finanzbehörden hielten die Geschäfte nach wie vor für rechtswidrig. Man kann also durchaus festhalten, dass die rechtliche Bewertung umstritten war und ist.

Der Gesetzgeber hat das Problem der doppelten Geltendmachung der Kapitalertragssteuer auf Dividendenzahlungen gesehen und deshalb im Jahr 2007 § 20 I Nr. 1 S. 4 EStG geschaffen. Das Problem an dieser Regelung ist jedoch, dass sie für ausländische Investoren nicht anwendbar ist. Der oben geschilderte Fall wird von der Norm überhaupt nicht erfasst – obwohl er schon damals den Hauptanwendungsfall der Cum-Ex-Geschäfte darstellte. Die vom Bundesfinanzministerium sehenden Auges in Kauf genommene Gesetzeslücke wurde erst 2012 geschlossen.

Strafbarkeit der Cum-Ex-Geschäfte

Neben der Frage, ob der Steuervorteil rechtmäßig erlangt wurde oder nicht, ist vor allem die Frage spannend, ob sich die Beteiligten an einem Cum-Ex-Geschäft sich strafbar gemacht haben.

Die Strafbarkeit hängt grundsätzlich von der steuerlichen Rechtswidrigkeit des Geschäfts ab, allerdings gibt es keinen Automatismus. Nur weil das Dividendenstripping als steuerrechtswidrig eingestuft wird, bedeutet das noch nicht, dass es auch steuerstrafrechtlich zu ahnden ist. Rechtspolitische Brisanz erhält die Frage nach einer Strafbarkeit schon alleine durch den Umstand, dass ein über Jahre hinweg geduldetes Geschäftsmodell auf einmal – auch rückwirkend – strafbar sein soll.

Gestaltungsmissbrauch?

Um ein steuerrechtliches Verhalten als Steuerhinterziehung zu werten, müssen die strittigen Geschäfte gegen geltendes Steuerrecht verstoßen. Das Modell des Cum-Ex-Trade nutzte aber eigentlich nur, wie oben ausgeführt wurde, steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und Lücken aus.

Als Anknüpfungspunkt für steuerrechtswidriges Verhalten wird ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO diskutiert. Das Gesetz definiert einen Gestaltungsmissbrauch als Wahl einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Da der BFH Cum-Ex-Geschäfte jedoch als prinzipiell zulässiges steuerliches Gestaltungsmittel anerkannt und nur beim Vorliegen von besonderen Umständen ein missbräuchliches Verhalten angenommen hat, ist die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs eher fernliegend. Zudem steht der Rechtsgrundsatz lex specialis derogat legi generali der Anwendbarkeit von § 42 AO entgegen. Das Einkommenssteuergesetz enthielt speziellere Regelungen, die der allgemeineren Vorschrift des § 42 AO vorgehen (vgl. BFH, Urteil vom 15.12.1999, BStBl. II 2000, S. 527 [532]). Diese rechtliche Auffassung wird auch von zahlreichen Gutachten gestützt, die das Geschäftsmodell für legal erklärten.

Aber natürlich bleibt ein flaues Gefühl. Denn ganz offensichtlich war das komplette Geschäftsmodell von Anfang an darauf angelegt, einen Steuervorteil zu erlangen, den es in Wirklichkeit gar nicht gab. Von den Beteiligten wurde ganz offensichtlich einiger Aufwand betrieben, um die Steuerbescheinigungen über die Kapitalertragssteuer doppelt erhalten zu können.

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Entscheidung des Bundesfinanzhof

Die Diskussion um eine Strafbarkeit der Cum-Ex-Geschäfte wurde mit einer Entscheidung des BFH vom 16.04.2014 (Az. I R 2/12) neu entfacht. Der Bundesfinanzhof hat die vorherige Praxis für rechtswidrig erklärt. Er verneint nun eine steuerrechtliche Zurechnung der Wirtschaftsgüter beim Erwerber – B aus unserem Beispiel wird nach dieser Rechtsprechung nicht mehr als wirtschaftlicher Eigentümer i.S.d. § 39 Abs. 2 AO angesehen. Der BFH begründet die Verneinung des wirtschaftlichen Eigentums auf Erwerberseite mit dem konkreten Vertragsgeflecht des zu entscheidenden Einzelfalls.

Auffällig an der höchstrichterlichen Entscheidung ist die vorsichtige Wortwahl. Es ist ihr gerade nicht zu entnehmen, dass sich der BFH vollständig von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie abwenden will. So ist auch die Fachwelt in der Bewertung des Urteils uneins. Überwiegend wird die Entscheidung aber nicht als Grundsatzurteil zu Cum-Ex-Geschäften wahrgenommen. Es ist davon auszugehen, dass weitere klarstellende Urteile folgen werden.

Die Lösung des BFH ist dogmatisch sauber. Für die steuerrechtliche Handhabbarkeit der Altfälle – ab 2012 ist die Lücke ohnehin geschlossen – wurde ein gangbarer Weg gefunden, der sich zudem günstig für den Fiskus auswirkt. Wenn man nun aber Cum-Ex-Trades als steuerrechtswidrig einordnet, ist es kein großer Schritt, darin auch eine Steuerstraftat zu suchen. Wie die Durchsuchungen zeigen ist das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung als sehr real einzuordnen.

Betroffene von Strafverfolgungsmaßnahmen

Verfolgungsmaßnahmen können dabei alle an der Transaktion Beteiligten treffen, aber auch deren Berater.

Zwar hat A im oben genannten Beispiel für sich genommen keinen unrechtmäßigen Steuervorteil erlangt. Er selbst hat die Steuerbescheinigung schließlich rechtmäßig erlangt. Allerdings ist nur durch sein Mitwirken bei B der unberechtigte Anspruch auf Steuererstattung entstanden. Je nach der Gestaltung des Einzelfalls ist es also vorstellbar, dass A und C entweder als Mittäter der Steuerhinterziehung des B verfolgt werden, weil die Ermittlungsbehörden einen gemeinsamen Tatplan und eine gemeinschaftliche Tatbegehung annehmen. Wertet man den Tatbeitrag von A und C als geringer, bleibt doch die Möglichkeit der Beihilfe an einer Steuerhinterziehung des B.

Das kann etwa kleinere Anleger treffen, die ein Aktienpaket vor dem Dividendenstichtag an ausländische Investoren „verliehen“ haben und sich dafür mit einem Entgelt haben belohnen lassen – ohne zu wissen, was die Investoren mit dem Paket eigentlich machen.

Die Ermittlungen richten sich im Moment aber nicht nur gegen die Investoren selbst, sondern auch gegen deren steuerrechtliche Berater. Die Bandbreite der Berater reicht dabei vom Steuerberater-Einzelkämpfer bis hin zu großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Auch für deren Strafbarkeitsrisiko kommt es wieder auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Wenn ein Steuerberater etwa nur die von seinem Mandanten vorgelegten Bescheinigungen über abgeführte Kapitalertragssteuer in die Steuererklärung einarbeitet, ohne zu wissen, was der Hintergrund der Bescheinigungen ist, scheidet eine Mitwirkung an der Steuerstraftat bereits wegen seiner Unwissenheit aus. Anders verhält es sich, wenn er den ganzen Deal eingefädelt hat.

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Vorsätzliche Steuerhinterziehung?

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bedeutet aber noch längst nicht, dass die davon Betroffenen tatsächlich verurteilt werden. Denn selbst wenn objektiv der Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Geschäfte erfüllt ist, führt das noch nicht automatisch zu einem Strafausspruch. Zur Steuerhinterziehung gehört nämlich, wie zu jedem anderen Delikt, auch der sogenannte subjektive Tatbestand. Das bedeutet, dass der Täter nur dann bestraft werden kann, wenn ihm vorsätzliches Handeln nachgewiesen werden kann. Vorsatz meint dabei, dass der Täter den Straftatbestand willentlich in Kenntnis aller seiner objektiven Merkmale erfüllt hat.

Bei den Geschäften um den Dividendenstichtag herum kann man am Vorsatz der Beteiligten deutlichen Zweifel anmelden. Denn zum einen war das Geschäftsmodell derart weit verbreitet, dass selbst der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom April 2014 von einer „weithin üblichen Gestaltungspraxis“ spricht. Inwiefern die Beteiligten tatsächlich davon ausgegangen sind, ein steuerrechtlich völlig legales Geschäft abzuwickeln, ist eine Frage die für jeden Einzelfall sorgfältig zu prüfen gilt. An dieser Stelle gibt es mit Sicherheit Verteidigungspotential.

Gerade für den kleineren Anleger gibt es als weiteren „Rettungsanker“ noch die Möglichkeit, sich auf einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu berufen. Die Vorschrift greift dann, wenn dem Täter bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Das kommt insbesondere bei Anlegern in Betracht, die sich vor der Abwicklung der Geschäfte haben fachkundig beraten lassen. Nachdem das „Steuersparmodell“ weit verbreitet und diskutiert war, ist einem Anleger, der sich auf den Rat seines (Steuer-)Beraters beruft, kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen.

Zeuge oder Beschuldigter?

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht für Investoren, die als Zeugen gegen die großen Investment-Firmen aussagen sollen. Denn gerade weil nicht klar ist, wie hoch ihr Tatbeitrag zu bemessen ist, besteht die Gefahr, sich in einem solchen Verfahren „um Kopf und Kragen  zu reden“. Wer als Zeuge in einem derartigen Strafprozess aussagen soll und vorher als Inhaber von Wertpapieren an einem Cum-Ex-Geschäft mitgewirkt hat, ist daher gut beraten, sich vor seiner Aussage unabhängigen sachkundigen Rat einzuholen, um nicht auf einmal selbst Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens zu sein.

Fazit

Zahlreiche Stimmen haben Cum-Ex-Geschäfte als völlig legal erachtet und die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen für höchst unwahrscheinlich oder gar absurd gehalten. Kritische Wortmeldungen wurden nicht ernst genommen –Kassandrarufe! Die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist, wie dargestellt wurde, bei weitem nicht so abwegig, wie es vorher behauptet wurde. Denn man muss zugestehen, dass das milliardenschwere Geschäft ganz klar zu Lasten des Fiskus geht. Allen Beteiligten war klar, dass nur eine ungeschickte Rechtslage und Regelungslücke ausgenutzt worden ist. Aber gerade weil die rechtliche Gestaltung derart umstritten ist, gibt es für steuerstrafrechtliche Verfolgungen einiges an Argumentations- und Verhandlungsspielraum.

In sehr vielen Fällen ist die Einstellung des Strafverfahrens gegen Geldauflage gemäß § 153a StPO ein realistisches Verteidigungsziel.

Gefährlich ist die Neufassung der Vorschriften über die Vermögensabschöpfung. Über diesen Weg könnte der Fiskus versuchen, sich sein Geld zurück zu holen.