Opfer von Schneeballsystemen – Steuerpflicht trotz Verlusten?
Bereits seit einigen Jahren durchläuft Deutschland eine Niedrigzinsphase. So ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass Anleger nach attraktiveren Anlageformen suchen, als sie üblicherweise von ihrer Bank angeboten bekommen. Viele Anleger fallen, von hohen Renditeversprechen verlockt, auf Betrüger herein – und haben dadurch in der Regel gleich einen mehrfachen Schaden. Die Opfer von Schneeballsystemen verlieren nämlich meist nicht nur das eingesetzte Kapital. Sie sehen sich außerdem noch Steueransprüchen ausgesetzt. Zu allem Überfluss kommt noch das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung dazu, wenn man seiner Pflicht, die ausgewiesenen Renditen dem Finanzamt zu melden, nicht nachkommt.
Was ist ein Schneeballsystem?
Der Initiator des Kapitalanlagebetruges lockt Anleger mit hohen Renditeversprechungen. Die Rendite wird jedoch nicht tatsächlich am Kapitalmarkt erwirtschaftet, die ausgewiesenen Gewinne werden nur zum Schein ausgewiesen. Die Gewinnausschüttungen stammen aus den Einzahlungen neuer Anleger. Um weiter Gewinne ausschütten zu können, muss das System folglich immer neue Anleger finden, die Einzahlungen leisten. Es liegt auf der Hand, dass das ganze System nur eine Zeit lang funktionieren kann. Sobald sich keine neuen Anleger finden, fällt das ganze Gebilde wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Profitieren können von dieser Anlegeform lediglich die Initiatoren und allenfalls die ersten Teilnehmer, die sich ihre Taschen füllen konnten, solange noch weitere neue Anleger gefunden werden konnten. Für die meisten Investoren hat die Teilnahme am Schneeballsystem zur Folge, dass sie nicht nur auf die versprochene hohe Rendite verzichten müssen, sondern vor allem auch, dass das eingesetzte Kapital weg ist. Schließlich wurde es an die vorherigen Anleger ausgezahlt oder von den Hintermännern beiseite geschafft.
Das Initiieren und Betreiben eines Schneeballsystems stellt fraglos einen Betrug dar. Die tatsächlich Verantwortlichen werden nur selten zur Verantwortung gezogen. Aber selbst, wenn man den Chef-Betrüger erwischt hat, hilft das den Betrogenen in der Sache nicht weiter. Prominenter Fall aus der Region Nordbayern ist der Fall es Jens Blaume mit seiner Anlagefirma Concept 1, auf die rund 700 Anleger hereingefallen sind. Insbesondere wurde den Anlegern vorgegaukelt, durch besondere Kontakte Zugriff auf sehr günstige Mitarbeiteraktien zu haben. Die Mitarbeiteraktien gab es aber nur auf dem Papier. Der Anlageberater, der seine Kunden um etwa 56 Mio. Euro geprellt hatte, wurde mittlerweile zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Für die Anleger ist das jedoch nur ein schwacher Trost. Es liegt auf der Hand, dass der Täter den verursachten Schaden nicht ausgleichen kann. Ein in der JVA arbeitender Inhaftierter verdient weniger als 15 Euro – am Tag. Das eingesetzte Kapital der Anleger ist im Zweifel endgültig weg.
Gegen die Verantwortlichen der Firma Concept 1 wurde zwar inzwischen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Auch wenn die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche gegen die Initiatoren des betrügerischen Systems von der insolvenzrechtlichen Restschuldbefreiung ausgenommen sein dürften, ist im Zweifel nicht damit zu rechnen, dass sie jemals realisiert werden können.
Doppelter Schaden: Steuerpflicht
Zu dem Schock des verlorenen Kapitals kommt bei dem geprellten Anlegern noch ein zweiter Schock hinzu: Der Fiskus hält die Hand auf. Die – tatsächlich nie existenten – Scheingewinne sind nämlich in der Regel zu versteuern. Zu allem Überfluss kann der betrogene Anleger noch nicht einmal den Verlust des eingesetzten Kapitals steuerlich geltend machen.
Diese auf den ersten Blick bizarre Situation rührt aus einer grundsätzlichen Entscheidung des deutschen Steuerrechts her: Vermögen und Erträge sind strikt voneinander getrennt.
Die (Schein-) Gewinne von Schneeballsystemen führen zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Diese Kapitalerträge sind dann zu versteuern, wenn sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Dieser in § 11 EStG geregelte Grundsatz gilt für alle Einkünfte, die der Einkommenssteuer unterliegen. Der Steuerpflichtige wird mit dem Einwand nicht durchdringen, die Gewinne gar nicht real gehabt zu haben. Es gibt dazu eine mittlerweile gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Bundesfinanzhof (BFH), das oberste deutsche Steuergericht hat entschieden (vgl. Urteil vom 11.02.2014, Az. VIII R 25/12), dass Gutschriften aus Schneeballsystemen dann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen, wenn der Initiator des Systems dem Anleger die zur Auszahlung gutgeschriebenen Beträge auf dessen Verlangen hin ausgezahlt hätte.
Mit anderen Worten: Der Schneeballsystembetreiber hätte leistungsbereit und leistungsfähig gewesen sein müssen. An die Leistungsfähigkeit werden dabei keine allzu großen Anforderungen gestellt. Der Einwand, wenn alle Anleger ihren Gewinn hätten ausgeschüttet haben wollen, hätte zum Zusammenbruch des Systems geführt, wird nicht anerkannt – mit dieser Annahme wäre schließlich auch jede Bank nicht mehr fähig, die Ansprüche ihrer Kunden zu bedienen.
Mögliches Argumentationspotenzial gibt die BFH-Rechtsprechung lediglich hinsichtlich der Leistungsbereitschaft. Die Leistungsbereitschaft fehlt, wenn der Betreiber der dubiosen Anlageform auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin die sofortige Auszahlung ablehnt und ihn stattdessen versucht, auf anderweitige Zahlungsmodalitäten umzustimmen. Es reicht jedoch nicht, wenn der Schneeballsystembetreiber dem Anleger lediglich nahelegt, das Geld erneut anzulegen. Er muss zumindest versuchen, den Anleger hinzuhalten und mit ihm konkret über die Neuanlage verhandeln. Ob die Leistungsbereitschaft gegeben ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Wenn es gelingt, die Finanzbehörden von der fehlenden Leistungsbereitschaft des Betrügers zu überzeugen, wird kein Zufluss der behaupteten Kapitalgewinne mehr angenommen. Zu dem Verlust des Kapitals kommt keine zusätzliche Steuerschuld hinzu.
Besonders unerfreulich aus Anlegersicht ist, dass auf den Depotauszügen in aller Regel die Abführung der Abgeltungssteuer ausgewiesen ist. Der Anleger ist also davon ausgegangen, dass steuerlich alles seine Richtigkeit hat. Die Abgeltungssteuer ist aber nur eine besondere Form der Erhebung der Kapitalertragsteuer. Diese Steuer wird pauschal direkt an der Quelle der Einkünfte erhoben. Die pauschale Versteuerung hat aber nur Auswirkungen auf die Art der Steuererhebung, nicht auf die Person des Steuerschuldners – das bleibt nach wie vor der Anleger. Die Abgeltungssteuer ist aber genauso wenig abgeführt worden, wie die ausgewiesenen Gewinne tatsächlich erwirtschaftet worden sind – die Mitteilungen auf den Depotauszügen waren schlicht und ergreifend falsch.
Anlageformen von Concept 1
Die steuerrechtliche Bewertung der betrügerischen Anlageformen ist im Einzelnen schwierig, da die Systeme darauf ausgelegt waren, möglichst kompliziert zu wirken. So konnten allein bei den Concept 1-Fällen fünf verschiedene Anlageformen festgestellt werden.
Neben Beteiligungsverträgen, bei denen die Anlagesumme für eine bestimmte Zeit zu einem fixen Zinssatz, meist 4 % p.a., eingesetzt wurde, gab es ähnlich gestaltete Anlageverträge mit einem etwas höheren Zinssatz (6 % p.a.), die sich vor allem unter dem Aspekt der Zweckbestimmung der Mittelverwendung unterscheiden. Unternehmensbeteiligungsverträge entsprechen den Beteiligungsverträgen, versprechen aber deutlich höhere Zinsen; der versprochene Jahreszinsertrag ist mitunter sogar zweistellig. Angeboten wurde auch eine untypische Art der stillen Beteiligung, die als Vertrag über Unternehmensbeteiligung bezeichnet wurde: wie bei der klassischen stillen Einlage entspricht die Anlagesumme der Einlage, anders als dort wird eine Verlustbeteiligung aber ausgeschlossen.
Den arglosen Anlegern wurde in einem anderen „Anlagen-Konzept“ außerdem vorgegaukelt, Zugriff auf Mitarbeiteraktien zu haben. Mitarbeiteraktien werden den Betriebsangehörigen – häufig von DAX-Unternehmen – zu besonders günstigen Konditionen, also zu einem Preis deutlich unter dem aktuellen Börsenkurs, angeboten. Die Anlagebetrüger versprechen unter Zusicherung einer Rendite von ca. 20 % p.a., solche Aktien von Mitarbeitern der Aktiengesellschaften kaufen zu können.
Bei den Dividenden bzw. Schein-Zinsen der Anlage- und Beteiligungsverträge ist nach den oben geschilderten Maßstäben des BFH wohl grundsätzlich von einer Steuerpflicht auszugehen. Verteidigungspotential kann es hier vor allem im Hinblick auf die Leistungsbereitschaft geben, was in jedem Fall einzeln geprüft werden sollte.
Bessere Chancen, sich gegen die Steuerpflicht zur Wehr zu setzen, bestehen wohl beim Mitarbeiter-Aktien-Modell: Selbst unter Zugrundelegung der BFH-Rechtsprechung ist hier vermutlich nicht von einem wirtschaftlichen Zufluss der „Schein-Gewinne auszugehen, so dass auch keine Steuer anfällt – auch wenn diese zwar ausgewiesen, aber nicht abgeführt wurde. Die zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Streitfragen wurden jedoch noch nicht entschieden.
Zusammenfassend kann zur steuerrechtlichen Beurteilung der verschiedenen Anlageformen festgehalten werden: Trotz der anlegerunfreundlichen BFH-Rechtsprechung ist vieles ungeklärt und überprüfungswürdig. Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail.
Dreifacher Schaden: Steuerstrafverfahren
Wenn sich herausstellt, dass geschuldete Steuern nicht abgeführt worden sind, lauert eine weitere Gefahr für den Anleger: Ein Steuerstrafverfahren. Zwar wird man dem Anleger für die Vergangenheit in der Regel keine vorsätzliche Steuerhinterziehung unterstellen können. Schließlich ist er davon ausgegangen, dass alles seine Richtigkeit hat. Sobald er aber davon Kenntnis hat, dass die von ihm geschuldeten Steuern nicht abgeführt worden sind, trifft ihn eine Mitwirkungspflicht nach § 153 AO.
In § 153 AO ist geregelt, dass jemand, der im Nachhinein erfährt, dass er für die Vergangenheit eventuell steuerpflichtig war, verpflichtet ist, dies dem Finanzamt mitzuteilen und dadurch zu ermöglichen, den steuerlichen Sachverhalt im Nachhinein zu korrigieren. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so droht ihm der Vorwurf einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen – selbst dann, wenn er bisher gutgläubig war.
Wenn ein geschädigter Anleger erfährt, dass die Abführung der Abgeltungssteuer in einem Schneeball-System nur auf dem Papier behauptet wurde, sollte er sich daher umgehend anwaltlich bzw. steuerlich beraten lassen, ob und was genau er dem Finanzamt mitteilen muss. Sofern kein Vorsatz vorlag – wovon bei den geprellten Anlegern aber auszugehen ist – sind die formalen Voraussetzungen einer Erklärung nach § 153 AO deutlich weniger streng als die einer strafbefreienden Selbstanzeige.
Fazit
Da es bei der Beurteilung der Schneeballsysteme auf die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen und Abwicklungsmodalitäten ankommt, ist jeder geprellte Anleger gut beraten, sich sachkundige Expertise einzuholen. Zunächst einmal ist in tatsächlicher Hinsicht zu klären, welche Vertragsgestaltungen tatsächlich zur Anwendung kamen. Bei einer potenziellen Steuerpflicht ist gegebenenfalls das Finanzamt zu informieren. Denn nur dadurch vermeidet man das Risiko, sich dem Vorwurf der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Mitteilung auszusetzen.
In keinem Fall sollte man sich jedoch vorschnell der Rechtsauffassung des Finanzamts unterwerfen. Da viele Details im Detail noch ungeklärt sind, lohnt sich häufig auch eine genauere rechtliche Überprüfung durch einen Einspruch oder eine Klage zum Finanzgericht.