Drastische Wortwahl von Rechtsanwälten ist ein Menschenrecht – Keine Beleidigung durch Strafverteidiger
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte mit Urteil vom 16.01.2018 (Beschwerdenummer 40975/08) klar, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung für Rechtsanwälte weit geht. Es erfasst insbesondere auch drastisch-plakativ dargestellte Meinungsäußerungen, jedenfalls dann, wenn diese in einem sachlichen Kontext geäußert werden.
1. Streit um Sachverständige im Strafprozess – Beleidigung durch Rechtsanwalt?
Im zugrunde liegenden Fall hatte ein slowenischer Strafverteidiger den gerichtlich bestellten Sachverständigen narzisstische Züge vorgeworfen. Er bezeichnete u.a. die Handschriftenanalyse, die von den Sachverständigen vorgenommen worden war, als „Quacksalberei“.
Hintergrund war ein Mordprozess, in dem der jetzige Kläger (ein Rechtsanwalt) als Strafverteidiger auftrat. In dem vorangegangenen Mordprozess gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Verteidiger und den vom Gericht bestellten Sachverständigen.
In dem Verfahren bezweifelte der engagierte Strafverteidiger immer wieder die Zulässigkeit und Verlässlichkeit der von den Sachverständigen angewandten Methoden.
Unter anderem führte er aus:
„Dass es sich dabei um ein wirres, widersprüchliches Geschwätz ohne Sinn handelte, wird dadurch belegt, dass der Experte seine Gedankengebäude nicht mit einer konkreten seelischen Störung verknüpft hat, nicht einmal mit der Persönlichkeitsstörung, hinsichtlich derer er sich selbst zum Experten erklärt hatte.“
Sowie:
„Die Meinungen sowohl des Psychiaters als auch des Psychologen deuten auf die traurige Wahrheit hin, dass beide Experten in ihrer beruflichen Schwäche auf Methoden zurückgriffen, die nicht zu ihrer beruflichen Praxis gehörten. Der Psychiater benutzte psychologische Methoden, die er absolut nicht verstand, und wandte sie nur mechanisch an; der Psychologe benutzte veraltete psychologische Methoden aus der Steinzeit der Psychologie und unwissenschaftliche psychodynamische Konzepte und konnte dabei keine brauchbaren Ergebnisse erzielen, weshalb er auf das Gebiet der Medizin zurückgriff….“.
Der Strafverteidiger wurde u.a. wegen dieser Äußerungen wegen Beleidigung verurteilt. Hierin sah er sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt und erhob Menschenrechtsbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
2. Entscheidung des EGMR zu Umfang und Grenzen der Strafverteidigung
In der nunmehr veröffentlichten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20.08.2018 stellte der Europäische Gerichtshof klar, dass derartige Äußerungen jedenfalls dann von der Meinungsfreiheit umfasst sind, wenn sie im Kern ein sachliches Anliegen unterstützen. Dies ist bei einer engagierten Strafverteidigungs-Strategie der Fall. Der Rechtsanwalt wurde im Ergebnis freigesprochen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt dabei eine Linie, die auch das deutsche Bundesverfassungsgericht immer wieder betont. Dieses hatte beispielsweise in der sogenannten „Dummschwätzer-Entscheidung“ klargestellt, dass eine Äußerung immer in ihrem Kontext zu sehen ist. Mit anderen Worten: „Wer dumm schwätzt, muss sich als Dummschwätzer bezeichnen lassen“. Es ist zulässig, sachliche Auseinandersetzungen mit drastischen Worten zu führen, wenn diese einen wahren Kern haben und im Rahmen eines juristischen Streits geäußert werden.
Rechtsanwalt Dr. Tobias Rudolph hat in der Vergangenheit immer wieder Mandanten, insbesondere auch Rechtsanwälte, erfolgreich vertreten, denen im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen vorgeworfen worden war, die Grenzen der zulässigen Meinungsfreiheit überschritten zu haben.
Nähere Informationen hierzu finden Sie in den folgenden Artikeln: