Nachdem die Zollfahndung Essen auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen mehrere hundert Frauenärztinnen und Frauenärzte in ganz Deutschland Strafverfahren eingeleitet hatten, haben sich in den letzten Wochen viele Verteidiger –  aber auch Verbandsanwälte und Staatsanwälte –  mit der komplizierten Rechtslage beschäftigt. Dabei stellte sich heraus, dass vieles von dem, was den Ärzten zunächst vorgeworfen worden war, bei genauerer juristischer Analyse nicht haltbar ist.

So hat sich inzwischen beispielsweise herauskristallisiert, dass die Anwendung der Hormonspirale „Mirena“ kein „Inverkehrbringen“ im Sinne von § 96 Nr. 5 Arzneimittelgesetz (AMG) darstellt. Denn durch die Anwendung dieses Medikaments bzw. das Einsetzen bei der Patientin wird einem Dritten keine Verfügungsgewalt eingeräumt.

Auch andere Straftatbestände, wie beispielsweise Verstöße gegen das Zollrecht oder die Behauptung, es sei ein „Großhandel“ betrieben worden, wurden inzwischen durch die Ermittlungsbehörden in Essen und Wuppertal fallengelassen.

Streitig ist nach wie vor die Frage, ob ein „Handeltreiben“ im Sinne von § 95 I Nr. 4 Arzneimittelgesetz (AMG) vorliegt. Darunter versteht man eine eigennützige, auf Umsatz gerichtete Tätigkeit. Zum Eigennutz gehört eine – wie auch immer geartete – Absicht der Gewinnerzielung oder eines persönlichen Vorteils. Die Staatsanwaltschaft vertritt hierzu die Auffassung, dass eine Gewinnerzielung durch die Ärzte darin liege, dass diese das Einsetzen der Spiralen bzw. das Setzen der Spritze abrechnen konnten und damit einen finanziellen Vorteil erlangt haben. Außerdem bestünde auch bei Abgabe zum Selbstkostenpreis ein immaterieller Vorteil dadurch, dass die Ärzte die Patientinnen an ihre Praxis gebunden haben.

Diese Überlegungen der Staatsanwaltschaft sind äußerst problematisch. Denn es wird auf Definitionen und Rechtsprechung zum Betäubungsmittelstrafrecht Bezug genommen, die sich nicht ohne weiteres auf das Arzneimittelstrafrecht übertragen lassen. Während das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verhindern will, dass illegale Drogen überhaupt in den Verkehr gebracht werden, zielt das Arzneimittelgesetz (AMG) darauf ab, die kunstgerechte Anwendung der Arzneimittel sicher zu stellen. Daran, dass die Verhütungsmittel hier im Ergebnis ordnungsgemäß appliziert wurden, besteht jedoch in den vorliegenden Verfahren kein Zweifel. Im Übrigen stellt es keinen „Vorteil“ im Sinne einer Gewinnabzielungsabsicht dar, dass ein Arzt die typisch ärztlichen Handlungen nach der Gebührenordnung abrechnet. Denn insoweit macht es keinen Unterschied, ob eine Patientin vom Arzt vor der Anwendung „zur Apotheke geschickt wird“, oder ob dieser das Präparat direkt zur Verfügung stellt.

Die aktuellen Überlegungen der Staatsanwaltschaft zum Vorsatz bzw. zum angeblich vorhandenen Unrechtsbewusstsein überzeugen ebenfalls nicht. Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, ist es selbst für Juristen alles andere als leicht, die Rechtslage zu durchschauen. Die Behauptung, dass ein approbierter Arzt über entsprechende Kenntnisse des Arzneimittelstrafrechts verfügt und insoweit sich bewusst gewesen sein muss, dass ein Strafbarkeitsrisiko besteht, geht an der Realität vorbei.

Von Seiten des Zollfahndungsamtes Essen wurde den Ärzten inzwischen eine Einstellung gegen Geldauflage gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) angeboten. Dieses Angebot ist auf den ersten Blick für viele der betroffenen Ärztinnen und Ärzte verlockend, da das Verfahren auf diese Weise in absehbarer Zeit und mit überschaubaren Folgen eingestellt werden kann. In den Fällen, bei denen eine Rechtsschutzversicherung eingreift dürfte hier in der Regel eine Kostenübernahme für die Rechtsanwaltsgebühren erfolgen. Berufsrechtliche Konsequenzen sind bei einer solchen Vorgehensweise aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu befürchten.

Gleichwohl ist das Angebot der Fahnder kritisch zu sehen. Letztlich werden die Beschuldigten hier in eine „erpressungsähnliche Situation“ gebracht. Wer auf die Aufklärung des Sachverhaltes und eine gründliche juristische Aufarbeitung der Rechtslage beharrt, muss mit dem Risiko leben, am Schluss auf deutlich höheren Gerichts- und Anwaltskosten sitzen zu bleiben und eventuell mit einer empfindlichen Strafe belangt zu werden.

Die Problematik der „erpressungsähnlichen Situation“ stellt sich grundsätzlich in jedem Strafverfahren, bei dem die Möglichkeit einer Einstellung gegen eine Geldauflage im Raum steht. Sie ist insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten „Absprachen“ im Strafverfahren schon häufig diskutiert worden. Die Zwangslage, die durch vorschnelle Ermittlungsaktionen von Staatsanwälten bei unklarer Rechtslage entsteht, wird von Strafverteidigern schon seit vielen Jahren kritisiert.

Von Seiten der Firma Sigma wurde die Empfehlung ausgesprochen, das Angebot der Ermittlungsbehörden zur Einstellung des Strafverfahrens nicht anzunehmen. Diese einseitige Empfehlung ist offenbar vom Interesse der Firma Sigma geprägt, welches nicht in allen Punkten identisch ist mit den Interessen der Ärzte.

Auch der Berufsverband der Frauenärzte e.V. hat sich mit einem Rundschreiben vom 25.20.2012 in die Diskussion eingeschaltet.

Tatsächlich gibt es nicht den einen, einzig richtigen „Königsweg“ der Verteidigung in dieser Situation bei ungeklärter Rechtslage. Wie man als Beschuldigter mit den Unsicherheiten des Strafverfahrens umgeht, ist letztlich eine ganz persönliche Entscheidung, die nur von jedem Einzelnen selbst getroffen werden kann.

Im November 2012 wurde durch Anwälte der Rechtsanwaltskanzlei Rudolph Rechtsanwälte eine Stellungnahme zu den rechtlichen Hintergründen des Verfahrens verfasst. Es ist zu hoffen, dass die Ermittlungsbehören sich nicht verhalten werden, wie ein General, der einen aussichtslosen Krieg nur deshalb fortsetzt, da schon 1000 Soldaten sinnlos in der Schlacht gestorben sind.

Es wäre mit der Stellung von Ermittlungsbehörden als Organe der Rechtspflege nicht vereinbar, wenn der Eindruck entstünde, die Ermittlungsverfahren würden nur deshalb aufrecht erhalten, um die betroffenen Ärztinnen und Ärzte zur Zahlung von Geldauflagen zu bewegen.

Medizinstrafrecht

Im Juli 2012 kam es zu der Einleitung von Strafverfahren gegen Frauenärzte durch die Zollfahndung Essen. In einigen Fällen wurden die Praxen durchsucht. Durch die betroffenen Gynäkologen sollen Verhütungsmittel an Patientinnen verkauft worden sein, die aus dem Ausland importiert wurden.

Hintergrund ist, dass manche Wirkstoffe, die beispielsweise in Verhütungsmitteln verwendet werden, in den verschiedenen europäischen Ländern jeweils eigenen Zulassungsverfahren unterliegen. Europaweit agierende Händler (insbesondere die Firma SIGMA GYN bzw. die Firma GP SUPPLIES Ltd.) haben sich dieses System zu Nutze gemacht und Gynäkologen in Deutschland Angebote über günstige Medikamente zugeschickt. Betroffen sind beispielsweise die Fertigpräparate Depocon, Sayana, Noristerat, Mirena oder Implanon. Verkauft wurden unter anderem Medikamente, die in Österreich, Zypern oder England zugelassen wurden – nur eben nicht in Deutschland. Das entsprechende nationale Zulassungsverfahren nach dem Arzeimittelgesetz (AMG) ist hier sehr formalistisch – obwohl die Medikamente in Deutschland mit derselben Zusammensetzung auch erhältlich sind und anerkannten Qualitätsstandards genügen.

Die Arzneimittelhändler, die sich nach außen offenbar nicht immer als ausländische Importeure zu erkennen gegeben haben, dürften ihre Gewinne nicht nur durch die Preisunterschiede gemacht haben, die es in den verschiedenen europäischen Ländern auf dem Medikamentenmarkt gibt. Profite lassen sich auch durch die unterschiedlichen Umsatzsteuersätze generieren, die in den jeweiligen Ländern gelten. Während Arzneimittel in Deutschland mit 19 % Mehrwertsteuer belegt werden, beträgt der Umsatzsteuersatz in Zypern beispielsweise nur 5 %.

Einige Frauenärzte wurden durch die Zollfahndung Essen angeschrieben und aufgefordert, Unterlagen über die Herkunft bzw. den Verkauf der betroffenen Medikamente herauszugeben. Es ist zu erwarten, dass sich die entsprechenden Ermittlungen auf das gesamte Bundesgebiet erstrecken.

Die Herausgabe von Unterlagen aus einer Arztpraxis ist nicht unproblematisch, da ein Arzt gegenüber seinen Patientinnen der Schweigepflicht unterliegt und daher keine sensiblen Daten ohne deren Einwilligung herausgeben darf.

Nähere Informationen über die rechtlichen Hintergründe der Verfahren sowie die empfohlenen Verhaltensweisen für betroffene Ärzte finden Sie in dem Artikel Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt gegen Gynäkologen  des Anwalts Dr. Tobias Rudolph (Juli 2012).

Strafverfahren gegen Ärzte

In dem Schreiben der Firma Sigma Gyn vom 6. September 2012 wird ausgeführt, dass von Seiten der Ermittlungsbehörden signalisiert wurde, bei den meisten der betroffenen Frauenärztinnen und –ärzten komme eine Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage in Betracht.

Diese Behauptung von Sigma Gyn entspricht auch unserer Einschätzung.

Die Firma Sigma Gyn zitiert Herr Oberstaatsanwalt Baumert, der in der Ärztezeitung die den Verfahren zu Grunde liegende Rechtslage als „kompliziert“ bezeichnet habe.

Auch diese Einschätzung teilen die meisten Juristen, die sich näher mit den medizin-rechtlichen und strafrechtlichen Hintergründen der Verfahren beschäftigt haben.

Die Firma Sigma Gyn führt in dem Schreiben weiterhin aus: „Wir würden es für sinnvoll erachten, wenn sich die betroffenen Ärzte zusammenschließen, um gemeinsam gegen diesen Skandal vorzugehen.“

Dies Aufforderung durch die Firma Sigma Gyn ist nach Einschätzung der Anwälte der Kanzlei Rudolph Rechtsanwälte mit Vorsicht zu genießen.

Zwar ist die in dem Schreiben geäußerte Einschätzung über die Verteidigungsbereit-Risiken nicht unbedingt falsch. Wie die Anwendung der in Frage stehenden Präparate durch die Ärzte rechtlich zu bewerten ist, wird auch unter Juristen nicht einheitlich beurteilt. Bereits in der Vergangenheit gab es diesbezüglich verschiedene Stellungnahmen und Diskussionen. Äußerst fraglich ist in rechtlicher Hinsicht auch, ob den Ärzten ein Vorsatz-Vorwurf gemacht werden kann bzw. ob nicht aufgrund des Unwissens der Ärzte ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorlag. Dies ist zumindest unter Beachtung der Besonderheiten jedes Einzelfalles prüfen.

Auch soweit die Firma Sigma Gyn darauf hinweist, dass es durchaus möglich ist, dass ein Rechtsanwalt in ähnlich gelagerten Fällen mehrere Ärzte vertritt, stimmt dies mit der Auffassung der Verteidiger der Kanzlei Rudolph Rechtsanwälte und der Auffassung der Staatsanwaltschaft Wuppertal überein. Denn der Grund, weshalb ein Anwalt, der mehrere Ärzte parallel vertritt, keinem Interessenkonflikt ausgesetzt ist, liegt darin, dass letztlich die Strafbarkeit für jeden einzelnen Betroffenen gesondert zu beurteilen ist. Ob und in welchem Umfang bzw. mit welchem Vorsatz ein Arzt in Bremen Präparate an Patientinnen weitergegeben hat, hat nichts damit zu tun, ob ein Arzt in München dieselben Kontrazeptiva in seiner Praxis anbot. Die Verteidigung der Ärzte kann vor diesem Hintergrund unabhängig voneinander erfolgen. Überschneidungen gibt es insoweit nur bezüglich der abstrakten Rechtsfragen und der allgemein bekannten Praxis des Vertriebs von Arzneimitteln.

Für problematisch halten wir jedoch die Aufforderung der Firma Sigma Gyn, „sich zusammen-zuschließen“. Dies gilt besonders, soweit hiermit ein gemeinsames Vorgehen von Ärzten und Sigma Gyn angeregt werden soll.

Die Firma Sigma Gyn hat andere Interessen als die Ärzte.

Gegen die verantwortlichen Initiatoren des mit den Medikamenten-Lieferungen zusammenhängenden Firmengeflechts „Sigma“ wird strafrechtlich ermittelt. Hier geht es um ein organisiertes Zusammenwirken. Im Vergleich zu den Einzelverfahren, die gegen die Ärzte geführt werden, sehen sich die Verantwortlichen von Sigma wesentlich schwerwiegenderen Vorwürfen ausgesetzt – schon wegen der Höhe der im Raum stehen Geldbeträge.

Die Beschuldigten in dem Strafverfahren „Sigma“ haben viel zu verlieren. Die Vorwürfe beziehen sich hier nicht nur auf strafrechtliche Verstoße gegen das Medizinrecht (Arzneimittelgesetz – AMG). Gegebenenfalls fallen auch erhebliche Steuerforderungen an.

Ein Anwalt, der gleichzeitig die Interessen der Firma Sigma Gyn und die Interessen der Ärzte vertreten würde, würde möglicherweise in einen Interessenkonflikt geraten. Denn sollte sich beispielsweise herausstellen, dass die Bestellformulare der Firma Sigma Gyn bewusst so gestaltet waren, dass die bestellenden Frauenarzt-Praxen über die Herkunft der angebotenen Verhütungs-Präparate getäuscht werden sollten, so käme ein Anwalt in einen konkreten Interessenkonflikt. Man kann nicht gleichzeitig im Interesse der Firma Sigma Gyn behaupten, dass die Ärzte letztlich für den Import verantwortlich waren und im Interesse des Arztes den Standpunkt vertreten, dass dieser von der Herkunft des Medikaments nicht wusste bzw. davon ausgegangen sei, dass es sich um einen zulässigen Parallel-Import oder einen zulässigen-Re-Import handelte (was bei den meisten Ärzten der Fall war).

Im Ergebnis ist die Verteidigung jeder betroffenen Ärztin und jedes betroffenen Arztes individuell. Es ist auf die jeweiligen persönlichen Verhältnisse und auch auf die individuelle „Kampfbereitschaft“ Rücksicht zu nehmen. Ist ein Anwalt aufgrund der Beschäftigung mit ähnlich gelagerten Fällen in der Lage, die abstrakten zu Grunde liegenden Rechtsfragen schneller zu erfassen und dem Mandanten über die Hintergründe der Problematik zu berichten, so ist dies für die Beschuldigten von Vorteil. Ein Strafverteidiger jedoch, der sich den Interessen der Firma Sigma Gyn verpflichtet fühlt, dürfte kaum in der Lage sein, einen der beschuldigten Ärzte standesgemäß zu vertreten.

Ermittlungsverfahren gegen Frauenärzte

– Ermittlungen der Zollfahndung Essen –

1. Strafverfahren gegen Gynäkologen

Im Juli 2012 kam es zu Razzien in mehreren Frauenarztpraxen. Es wird gegen Gynäkologen wegen des Verdachts ermittelt, in Deutschland nicht zugelassene Medikamente (v.a. Hormonspiralen, z.B. Mirena) direkt an ihre Patientinnen verkauft zu haben.

Die Ermittlungen wegen des angeblichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz werden durch die Zollfahndung Essen geführt, nachdem durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal Strafverfahren gegen die Lieferanten eingeleitet worden waren. Inzwischen haben sich die Strafverfahren auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet.

In den Fällen, bei denen es zu den Praxisdurchsuchungen kam, besteht der Verdacht, dass den Patientinnen das Gestagen Depocon (Medroxyprogesteronacetat, MPA) verabreicht worden sein soll.

In der Mehrzahl der aktuellen Fälle geht es um den Direktverkauf von Präparaten, die in Deutschland nicht zugelassen sind. Betroffen sind beispielsweise die Kontrazeptiva Mirena und Implanum, welche durch die Firma SigmaGyn vertrieben wurden. Die Lieferung erfolgte meist über das europäische Ausland (Österreich, England, Zypern).

In einigen Fällen wird den Ärzten vorgeworfen, bei der spanischen Firma SIGMA Ginecologicos S.L. und der zypriotisch-britischen Firma GP SUPPLIES Ltd. verschreibungs- und apothekenpflichtige Arzneimittel erworben zu haben, und diese ohne Zwischenschaltung einer Apotheke an ihre Patientinnen weitergegeben zu haben.

Nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erhalten die Frauenärzte Anhörungsschreiben der Zollfahndung Essen, mit der Aufforderung, Unterlagen herauszugeben.

Für den Fall, dass sich die verdächtigten Ärzte nicht „kooperativ“ zeigen, d.h. keine Unterlagen zu Bestell- und Zahlungsvorgängen an die Ermittlungsbehörden herausgeben, wird ihnen die Durchsuchung ihrer Praxisräume angedroht.

2. Strafbarkeit von Parallelimporten

Den beschuldigten Ärzten wird vorgeworfen, sich durch ihr Verhalten gemäß den §§ 95 I Nr. 4, 96 Nr. 5 oder Nr. 14 AMG (Arzneimittelgesetz) strafbar gemacht zu haben.

§ 95 I Nr. 4 AMG verbietet es, mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, mit denen nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes außerhalb von Apotheken kein Handel getrieben werden darf, ohne Zwischenschaltung einer Apotheke Handel zu treiben bzw. diese an Patientinnen abzugeben. Ob diese Vorschrift erfüllt ist, hängt unter anderem davon ab, ob es sich bei den Betroffenen Präparaten um Arzneimittel im Sinne des Gesetzes handelt (was beispielsweise wohl für NOVA T nicht zutrifft). Umstritten ist auch, ob eine Ausnahmevorschrift i.S.d. §§ 44 ff. AMG den Direktvertrieb von grundsätzlich apothekenpflichtigen Medikamenten in diesen Fällen ausnahmsweise erlaubt.

Gemäß § 96 I Nr. 14 AMG macht sich strafbar, wer ohne erforderliche Erlaubnis mit Arzneimitteln Großhandel betreibt.

§ 96 Nr. 5 AMG verbietet es, Fertigarzneimittel in den Verkehr zu bringen, ohne dass eine Zulassung durch die zuständige Bundesbehörde erfolgte.

Während ein Großhandel im Sinne von § 96 I Nr. 14 AMG nur in seltenen Ausnahmefällen zu bejahen sein dürfte (hierbei kommt es vor allem auf Art und Umfang des Vertriebs an), ist für die betroffenen Ärzte insbesondere § 96 Nr. 5 AMG kritisch. Danach ist strafbar, wer Fertigarzneimittel ohne Zulassung in den Verkehr bringt. Die Zulassungspflicht ist in § 21 AMG geregelt. Danach dürfen Fertigarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG (um solche dürfte es sich in den in Frage stehenden Fällen handeln) in Deutschland nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie

a) entweder durch die zuständige Bundesoberbehörde
b) oder nach einem europäischen Zulassungsverfahren, das in § 21 Abs. 1 AMG genauer beschrieben wird, zugelassen sind.

Es gibt folglich entweder ein nationales oder ein europäisches Zulassungsverfahren. Vorliegend kann davon ausgegangen werden, dass die Medikamente, um die es geht, dem nationalen Zulassungsverfahren unterliegen. Dass es sich um Fertigarzneimittel im Sinne des § 21 AMG handelt, folgt aus § 4 Abs. 1 AMG. Danach sind Fertigarzneimittel solche, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden.

Ein strafrechtliches Risiko besteht sowohl für einen Arzt, der ausländische Medikamente an Patientinnen weiterverkauft, als auch für einen Vermittler, der dafür sorgt, dass die ausländischen Medikamente an inländische Ärzte verkauft werden. Dies folgt aus § 4 Absatz 10 AMG, wo der Begriff des „In-Verkehr-Bringens“ näher definiert wird. In-Verkehr-Bringen ist danach das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. Darunter dürfte auch die bloße Weitergabe an Patientinnen zum Selbstkostenpreis fallen.

Die Medikamente, um die es geht, haben zwar in der Regel eine ausländische (beispielsweise österreichische) Zulassung. Die Produkte sind eventuell sogar in Deutschland mit den gleichen Wirkstoffen zugelassen. Da die Zulassungsverfahren auch innerhalb der EU jedoch länderbezogen sind, handelt es sich schon dann um ein „nicht zugelassenes“ Produkt i.S.d. AMG, wenn es an der spezifischen nationalen Zulassung fehlt.

Daran ändert auch § 73 III AMG nichts. Zum einen geht es in dieser Vorschrift um die Zulässigkeit der Verbringung eines Arzneimittels in den Geltungsbereich des AMG, und nicht um das Handeltreiben bzw. die Abgabe an Patienten. Darüber hinaus betrifft diese Erlaubnisnorm Apotheken, nicht aber Ärzte, und es stehen hinsichtlich des Wirkstoffs identische bzw. hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbare Arzneimittel in Deutschland zur Verfügung. Damit ist ein Sonderimport nicht gerechtfertigt, da § 73 III AMG nicht die jeweiligen nationalen Zulassungsverfahren aushebeln soll.

3. Was kann man den Ärzten vorwerfen?

Fraglich ist, ob man den Ärzten vorwerfen kann, vorsätzlich gegen Vorschriften des Arzneimittelrechts verstoßen zu haben.

Für die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes der Vorschriften des AMG reicht ein sogenannter bedingter Vorsatz (Juristen sprechen hier von dolus eventualis). Dafür ist es ausreichend, wenn ein Arzt die Möglichkeit erkannt hat, dass etwas nicht stimmt, aber sozusagen „bewusst weggeschaut“ hat.

Viele Ärzte wussten wohl nicht, dass es sich bei den Anbietern der Medikamente um ausländische Firmen handelte. Insbesondere der Vertreiber „SigmaGyn“ erweckte nach der Art der Angebotsbeschreibung den Eindruck, es handele sich um einen deutschen Arzneimittelversandhändler oder einen zugelassenen Re-Importeur bzw. Parallel-Importeur von Arzneimitteln.

Zweifelhaft ist, ob man den Betroffenen unterstellen kann, anhand der Rechnungen, die aus dem Ausland gestellt wurden, erkannt zu haben, dass es sich um ausländische Produkte handelt. Lebensnah dürfte es eher sein, davon auszugehen, dass die Praxisinhaber die Rechnungen – wenn überhaupt – nur flüchtig zu Gesicht bekommen haben und keinen Anlass hatten, sich über die Vertriebswege bzw. die Herkunft der Medikamente Gedanken zu machen.

Es ist auch für Juristen nur schwer nachvollziehbar, dass der Verkauf von Produkten, deren Qualität und Wirksamkeit nach deutschen Standards anerkannt ist, nur deshalb strafbar sein soll, weil die Verpackungen „einen ausländischen Stempel“ tragen. Insoweit dürfte in vielen Fällen auch ein strafbefreiender Verbotsirrtum durch die Ärzte (§ 17 StGB) nahe liegen.

4. Wann sind die Vorwürfe strafrechtlich verjährt?

Für  § 95 I Nr.4 AMG gilt eine Verjährungsfrist von 5 Jahren (§ 78 III Nr.4 StGB).

Für § 96 AMG gilt eine Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 78 III Nr.5 StGB).

Wenn mehrere Straftatbestände gleichzeitig verwirklicht wurden, ist es möglich, dass der eine bereits verjährt ist, der andere indes noch nicht.

5. Ist die Durchsuchung einer Arztpraxis zulässig?

Die Durchsuchung von Arztpraxen ist grundsätzlich möglich, wenn gegen den Inhaber selbst strafrechtliche Ermittlungen laufen. Wegen des Schutzes der betroffenen Patienteninteressen sind die Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss jedoch hoch.

Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Arztpraxis die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Beschl. v. 21. 1. 2008 – 2 BvR 1219/07). Dies ergibt sich aus der Besonderheit des Arzt-Patienten-Verhältnisses.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt (BVerfGE 32, 373, 380):

„Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chancen der Heilung vergrößert und damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“

Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen und dem Aufklärungsinteresse des Staates sind in Rechnung zu stellen:

• Der Grad des Verdachtes gegen den Arzt
• Die Schwere der Straftat, die dem Arzt zu Last gelegt wird
• Der Anlass der Straftat, die dem Arzt zu Last gelegt wird
• Der besondere Schutz der Berufsträger unter dem Aspekt, dass bei einer Praxisdurchsuchung i.d.R. auch persönliche Daten anderer Patienten beeinträchtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 21. 1. 2008 – 2 BvR 1219/07).

In den vorliegenden Fällen ist es äußerst zweifelhaft, ob die bekannt gewordenen Praxisdurchsuchungen nach diesem Maßstab rechtmäßig waren. Denn der individuelle Schuldvorwurf – sofern im Einzelfall überhaupt eine Strafbarkeit bejaht werden kann – ist in jedem Fall minimal. Das allgemeine Interesse an dem Schutz der Arztpraxis dürfte daher vorgehen.

In den Fällen, bei denen Ärzte aufgefordert werden, Buchhaltungsunterlagen über die Bestellvorgänge herauszugeben, ist Vorsicht geboten. Insbesondere in einem Schreiben der Zollfahndung Essen bzw. der Staatsanwaltschaft Wuppertal wird der Eindruck erweckt, „Widerstand sei zwecklos“. Dies ist angesichts der erheblichen Eingriffsschwelle für zwangsweise Durchsuchungen einer Arztpraxis mit Sicherheit falsch.

In erster Linie haben die Ärzte, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, das Recht zu Schweigen – wie jeder andere Beschuldigte auch. Dazu gehört unter Umständen auch das Recht, Unterlagen zurück zu halten.

Im Zweifel sollte von diesem Recht Gebrauch gemacht werden – zumal Ärzte als Berufsgeheimnisträger auch den Patienteninteressen verpflichtet sind.

6. Darf ein Arzt Unterlagen an die Ermittlungsbehörden herausgeben?

Begehren im Ermittlungsverfahren Strafverfolgungsbehörden Einsicht in Krankenunterlagen ist folgendes zu beachten: Die Schweigepflicht des Arztes gilt grundsätzlich auch gegenüber den Ermittlungsbehörden.

Wollen die Ermittler Einsicht in die Krankenunterlagen nehmen, wird vom Patienten eine schriftliche Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht benötigt. Die freiwillige Herausgabe durch den Arzt, ohne dass der Patient sich damit einverstanden erklärt, ist eine Verletzung des Privatgeheimnisses und nach § 203 StGB strafbar.

7. Wie sollte sich ein Arzt im Strafverfahren verhalten?

Betroffene Ärzte sollten sich keinesfalls ohne vorherige anwaltliche Beratung und Akteneinsicht zur Sache einzulassen.

Im Einzelfall kann eine freiwillige Herausgabe sinnvoll sein, um eine drohende Durchsuchung zu vermeiden. Im anderen Fall sollte die Herausgabe gerade vermieden werden – beispielsweise wenn geschützte Patientinnen-Geheimnisse betroffen sind oder wenn es überhaupt keine Beweise für Verstöße gegen das AMG gibt.

Es sollte daher ein Strafverteidiger zu Rat gezogen werden, um zu beurteilen, ob Unterlagen an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden sollten.

Zur Sicherung der Verfahrensrechte im Rahmen einer Durchsuchung sollte unbedingt ein auf Strafrecht spezialisierter Anwalt benachrichtigt und hinzugezogen werden. Nur so lassen sich mögliche Ausweitungen der Durchsuchung auf Zufallsfunde (z.B. Steuerangelegenheiten) sowie öffentlichkeits- und gegebenenfalls rufschädigende Auswirkungen vermeiden.

 

Aktuelle Ergänzung 1: Berufsverband der Frauenärzte zum angeblichen Verbot der Mehrfachverteidigung

Durch den Berufsverband der Frauenärzte e.V. wurde in einem Rundschreiben die Behauptung verbreitet, es stelle einen Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung dar, wenn ein Rechtsanwalt mehrere Beschuldigte in den betroffenen Ermittlungsverfahren vertrete. Diese Behauptung wird nicht begründet und beruht sowohl auf unzutreffenden Tatsachenbehauptungen als auch auf falschen rechtlichen Schlussfolgerungen.

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen und schriftlich mitgeteilt, dass dort davon ausgegangen wird, dass kein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung vorliegt.

Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. hat seine Behauptung in einem neuen Schreiben vom 06.09.2012 relativiert. Dies erfolgte in Kenntnis der schriflichen Bestätigung der Staatsanwaltschaft, dass dort grundsätzlich keine Bedenken dagegen bestehen, wenn ein Anwalt mehrere Betroffene vertritt.

Aktuelle Ergängzung 2: Schreiben von Sigma Gyn

Viele der betroffenen Ärtzinnen und Ärzte haben inzwischen Schreiben  (ohne Absender; per Fax) erhalten, mit denen versucht wird, das Problem zu bagatellisieren. Bei uns sind verschiedene Schreiben der Firma Sigma zu den Vorwürfen des Zollfahndungsamtes Essen und zu einer Durchsuchungsaktion bekannt. Es wird eine Rechtfertigung nach § 73 AMG behauptet. In einem neuen Schreiben der Firma Sigma wird die Auffassung vertreten, dass die Anwendung eines Arzneimittels keine Abgabe und damit auch kein Inverkehrbringen sei.

Teilweise werden in den Schreiben zutreffend Rechtsprobleme angesprochen, die es zu klären gilt. Teilweise sind die Schreiben jedoch eher als ein Versuch anzusehen, die Händler zu schützen, als die Ärzte zu entlasten.

Aktuelle Ergänzung 3: Schreiben Sigma vom 6. September 2012

Am 6. September 2012 wurde in in den Strafverfahren gegen Frauenärzte des Zollfahndungsamtes Essen ein weiteres Fax der Firma Sigma Gyn vom 06.09.2012 an die Betroffenen verschickt. Der in diesem Schreiben gemachten Aufforderung, „sich zusammenzuschließen“ sollte nicht unkritisch gefolgt werden. Die Interessen der Firma SigmaGyn dürften sich kaum mit den Interessen der Ärtze in Einklang bringen lassen.

Aktuelle Ergänzung 4: Angebot der Zollfahndung Essen, das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen (Oktober 2012)

Im Oktober 2012 wurden die beschuldigten Frauenärztinnen und -ärzte durch die Zollfahndung Essen angeschrieben. Es wurde ihnen eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Zahlung einer Geldauflage angeboten. Die meisten der ursprünglich im Raum stehenden Vorwürfe haben sich inzwischen in Luft aufgelöst. Für die Betroffenen stellt sich nun die Frage, ob man für die „Taube auf dem Dach“ (einen Freispruch oder eine Einstellung ohne Geldauflage) kämpfen soll, oder ob man den „Spatz in der Hand“ (schnelle Erledigung des Verfahrens durch Zahlung einer Geldauflage) kämpfen soll.