Bundesverfassungsgericht entscheidet über Absprachen im Strafverfahren

Absprachen in Strafverfahren

In Strafverfahren erleben es Rechtsanwälte immer wieder, dass durch Staatsanwälte und Richter ein erheblicher Druck auf die Angeklagten ausgeübt wird, ein „Geständnis“ abzugeben.

Steht ein Angeklagter vor der Wahl, für die Wahrheit zu kämpfen und dafür eventuell einen hohen Preis zu bezahlen, entscheidet er sich häufig für den „bequemeren Weg“: Er gibt ein „taktisches Geständnis“ ab.

Dieses Geständnis entspricht dann zwar nicht der Wahrheit – aber genau dem, was der Richter in diesem Moment von ihm hören will.

Ein bekanntes Beispiel, wie solche Absprachen ablaufen, lag dem Strafverfahren gegen den Strafverteidiger Stefan Lucas vor dem Landgericht Augsburg zugrunde. Hier war es zur Eskalation zwischen Verteidigung und Gericht gekommen, nachdem ein Deal gescheitert war.

Ein aktuelles Beispiel für einen unzulässigen Deal ist in einem Berufungsschriftsatz RA Dr. Tobias Rudolph dokumentiert. Die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft wurde vom Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins dokumentiert und in einer Stellungnahme dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Das dokumentierte Strafverfahren endete inzwischen mit einer Bewährungsstrafe – obwohl dem Angeklagten in erster Instanz 3 Jahre Haft angedroht worden waren.

In dem Verfahren von Rechtsanwalt Dr. Rudolph stellte sich auch die Problematik unzulässiger Sperrberufungen durch Staatsanwälte – eine typische Reaktion auf gescheiterte Deals.

Im März 2013 entschied das Bundesverfassungsgericht erstmals über die Zulässigkeit und die Grenzen von Absprachen im Strafverfahren.

Die schon seit Ende der 1970er Jahre bestehende, inoffizielle Praxis der Verständigung hatte im Jahr 2009 eine gesetzliche Regelung erfahren. Bis dahin waren die Grenzen zulässiger Verfahrensabsprachen nur durch Richterrecht – und damit am parlamentarischen Gesetzgeber vorbei –  entwickelt worden. Nichtsdestotrotz wurde das neue Gesetz, das einige bedeutende Änderungen in der Strafprozessordnung mit sich brachte, schon von Beginn an stark kritisiert.

Die Kritik gründete sich dabei jedoch nicht nur auf die entsprechende Gesetzesänderung, sondern richtete sich zentral gegen die Praxis der Absprache an sich, die, so die Meinung vieler Kritiker, zu einem „Handel mit der Gerechtigkeit“ führe. Der im Rahmen der Absprache geschlossene „Deal“ besteht im Regelfall nämlich gerade in einem Strafrabatt des Staates zugunsten des geständigen Angeklagten. Dem deutschen Straf- und Strafprozessrecht ist ein solcher Handel grundsätzlich fremd. Die Schuld des Einzelnen ist zur Grundlage jeder Strafe zu machen – nicht das Ergebnis eines Deals. Kernstück des deutschen Strafverfahrens ist daher die sogenannte „inquisitorische“ Hauptverhandlung, in deren Rahmen die materielle Wahrheit über den Tathergang zu ermitteln ist.

Bietet ein Gericht dem Angeklagten einen Anreiz, sich durch ein möglicherweise sogar falsches Geständnis, der angemessenen Strafe zu entziehen, so ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Besonders problematisch werden diese Absprachen unter anderem in Großverfahren, in denen der Tatvorwurf durch mühsame Aktenarbeit sauber begründet werden muss. Gerade in Wirtschaftsstrafsachen wird dem Angeklagten damit ein starkes Werkzeug in die Hand gegeben. Je mehr er mit einem umfassenden Geständnis zur Beschleunigung des Verfahrens – und letztlich auch Arbeitserleichterung auf Seiten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts – beitragen kann, umso mehr „Entgegenkommen“ kann er bei seiner Verurteilung erwarten. Während es dem Gericht gesetzlich verboten ist, den konkreten Schuldspruch vorab zu vereinbaren, ist es doch erlaubt, sich hinsichtlich der maximal zu erwartenden Strafe festzulegen.

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lagen die Verfassungsbeschwerden dreier Beschwerdeführer zugrunde, die sich, nachdem ihrer Verurteilung jeweils eine Verständigung vorangegangen war, aus verschiedenen Gründen in ihren Grundrechten verletzt sahen. Die Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht zum Anlass genommen, zur Rechtmäßigkeit der Verfahrensabsprachen grundsätzlich Stellung zu nehmen. Im Ergebnis bekräftigte das Gericht die Beschwerdeführer in ihrer Rechtsauffassung und verwies ihre Fälle zur erneuten Verhandlung an die Ausgangsgerichte zurück.

Zu einem grundsätzlichen Verbot von Absprachen konnte sich das Verfassungsgericht jedoch nicht durchringen.

Das Urteil des BVerfG ist nicht zuletzt auch deshalb bemerkenswert, weil es sich auf eine repräsentative Umfrage unter 350 Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidiger stützt. Diese im Jahre 2011 durchgeführte Befragung brachte zutage, dass mehr als die Hälfte aller Richter ihre Absprachen „informell“, also an den gesetzlichen Vorgaben vorbei, durchführen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen – durch Kritiker als ein „Korsett“ beschrieben – werden durch Richter offenbar als unnötiger Formalismus empfunden. Darüber hinaus herrscht stellenweise aber auch ein gesetzlich nicht gewollter, vor allem aber unzulässiger Pragmatismus. Insgesamt, so das Ergebnis der Studie, liegt der daraus resultierende Strafrabatt zwischen 25% und 33%.

Das BVerfG geht in seiner Entscheidung letztlich einen Mittelweg. Es betont die Wichtigkeit der strafprozessualen Verfahrensgarantien und der strafrechtlichen Grundprinzipien – Schuldgrundsatz, Rechtsstaatsprinzip und Menschenwürde bedingen sich gegenseitig und sind jeweils auch verfassungsrechtlich verankert. Allein die regelwidrige Anwendung eines Gesetzes macht das Gesetz selbst noch nicht verfassungswidrig. Vielmehr sei die Verständigung im Strafprozess gerade deshalb nur in einem begrenzten Rahmen vom Gesetzgeber für zulässig erachtet worden und das Gesetz mit „spezifischen Schutzmechanismen versehen [worden], die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden.“ Die angesprochenen elementaren Grundsätze des rechtsstaatlichen Strafverfahrens können und sollen dadurch also gerade nicht angetastet werden. Vielmehr sei es Anliegen des Gesetzgebers gewesen, „eine abschließende Regelung“ zu dem jeher umstrittenen Thema der Absprache zu schaffen.

Das Gericht betont: „Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig.“

Dem damit eigentlich zulässigen Modell des Gesetzgebers bescheinigt das Gericht ein Vollzugsdefizit. Die gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismen würden also grundsätzlich ausreichen, wenn die Verfahrensbeteiligten sich nur konsequent daran halten würden. Ihnen obliegt es primär, auf die Einhaltung der Vorgaben zu achten. Immer umfangreichere Verfahren, stetig kompliziertere Rechtsnormen sowie Kosten- und Erledigungsdruck auf Seite aller Verfahrensbeteiligter, um nur einige der Faktoren zu nennen, die oben angesprochenen Erledigungspragmatismus befördern, lassen aber bereits jetzt schon daran zweifeln, ob diese Selbstkontrolle Erfolg verspricht.

Noch ist der „Deal“ also erlaubt. Wie bisher kann und darf es aber nicht weitergehen. Ob und wie sich die Verfahrensbeteiligten die mahnenden Worte aus Karlsruhe zu Herzen nehmen werden, muss sich in der Praxis erst noch zeigen.