Verjährung im Strafrecht und im Steuerrecht

Strafrechtliche und steuerrechtliche Verjährung laufen nach deutschem Recht nicht parallel. Dies führte in der Vergangenheit zu Verwirrungen bei der Frage, in welchem Umfang eine Selbstanzeige abgegeben werden sollte. Dies hat sich zwar nach der Neufassung des Rechts der Selbstanzeige (§ 371 AO) im Jahr 2015 geändert. Für deren Wirksamkeit ist nun immer mindestens ein Zeitraum von 10 Jahren zu erfassen. Fehler bei der Berechnung der strafrechtlichen oder steuerrechtlichen Verjährung können jedoch weiterhin gravierende Folgen haben.

1) Steuerrechtliche Verjährung

Die steuerliche Festsetzungsverjährung richtet sich nach den §§ 169 bis 171 AO. Sie beträgt grundsätzlich vier Jahre. Im Falle einer vorsätzlichen Steuer­hinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist gemäß § 169 II S. 2 AO zehn Jahre. Der Fristbeginn richtet sich dabei nach § 170 I AO, d.h. die Frist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuern entstanden sind. Abweichend von § 170 I AO bestimmt jedoch § 170 II AO, dass, wenn eine Steuererklärung ein­zureichen ist (was z.B. bei Kapitaleinkünften i.d.R. gemäß § 149 AO i.V.m. § 25 III EstG und § 56 EStDV der Fall ist), sich der Fristbeginn verschiebt. Die 10-jährige steuerliche Frist beginnt somit in der Regel erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen, in dem die Steuererklärung tatsächlich ein­gereicht wird.

Wenn also beispielsweise eine Steuererklärung für das Jahr 2005 im Jahr 2006 eingereicht wurde, beginnt die steuerliche Frist am 31.12.2006, 24 Uhr,  zu laufen. Das bedeutet, dass das Finanzamt hinterzogene Steuern aus dem Jahr 2005 noch bis zum 31.12.2016, 24 Uhr, neu festsetzen kann.

In der Praxis des Steuerstrafverteidigers verschieben sich diese Fristen oft noch nach hinten, da beispielsweise entweder die Steuererklärungen erst in den Folgejahren eingereicht wurden oder überhaupt keine Erklärungen erfolgten. Zu beachten sind im Zusammenhang mit Steuerstrafverfahren vor allem die verschiedenen Regelungen hinsichtlich der Ablaufhemmung in § 171 AO. Nach § 171 Abs. 7 AO gilt eine Ablaufhemmung für die Steuerfestsetzung nicht vor Ablauf der Strafverfolgungsverjährungsfrist.

2) Strafrechtliche Verjährung

Die strafrechtliche Verjährung beträgt für Steuerhinterziehungen grundsätzlich 5 Jahre, § 78 III Nr. 4 StGB. Nach § 376 Abs. 1 AO beträgt die Verfolgungsverjährung eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. III S. 2 Nr. 1 bis 6 AO  15 Jahre. Dies ist insbesondere in Fällen der Steuerverkürzung in großem Ausmaß, d.h. bei einem Betrag über 50.000,00 Euro der Fall.  Nach Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung geht der BGH seit der Entscheidung vom 27.10.2015 einheitlich bei einem Hinterziehungsbetrag von 50.000,00 € von einem großem Ausmaß aus.

Der Gesetzgeber änderte § 376 AO  durch Art. 27 des Gesetzes vom 21.12.2020. Hintergrund war die Verfolgung der Cum-Ex-Taten. Vor dem 29.12.2020 betrug die Verjährungsfrist zehn Jahre, d.h. für alle Taten, die vor dem 28.12.2010 beendet waren, gilt die 10-jährige Verjährungsfrist nach altem Recht.

Im Zuge des Zweiten Corona-Soforthilfegesetzes wurden außerdem die Regelungen zur absoluten Verjährung von Vorwürfen wegen Steuerhinterziehung geändert. In §376 III AO ist nun geregelt, dass abweichend von § 78c StGB die absolute Verjährung eintritt, wenn das 2,5-fache der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist.

Die Kombination dieser beiden Änderungen in den Verjährungsvorschriften in Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung hat zur Folge, dass die absolute Verjährung auf 37,5 Jahre ausgedehnt worden ist.

Wenn ein Fall der besonders schweren Steuerhinterziehung vor dem Landgericht angeklagt und dort das Hauptverfahren eröffnet ist, gilt über § 376 I AO nun auch die Ruhensvorschrift des§ 78b Abs.4 StGB entsprechend.  In diesen Fällen ruht also die Verjährung ab Eröffnung des Hauptverfahrens für weitere 5 Jahre, d.h. die absolute Verjährung kann 42,5 Jahre betragen.

Die strafrechtliche Verjährungsfrist beginnt bei der Einkommenssteuerhinterziehung mit Bekannt­gabe des Steuerbescheides zu laufen, da zu diesem Zeitpunkt der Steuerhinterziehungserfolg ein­getreten ist, d.h. die Tat beendet i.S.v. § 78a StGB ist. Die 3-Tages-Fiktion des § 122 II AO gilt für die Berechnung der strafrechtlichen Fristen nicht, da sie zu Lasten des Beschuldigten ginge.

Im Zuge der Änderung des Rechts zur strafbefreienden Selbstanzeige zum 1. Januar 2015 wurde in § 371 Satz 2 AO  ausdrücklich geregelt, dass die Selbstanzeige alle Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre umfassen muss. Welchen Umfang eine Selbstanzeige in Fällen der auf 15 Jahre verlängerten Verjährungsfrist haben muss ist umstritten.

3) Das „Niemandsland“ zwischen strafrechtlicher und steuerrechtlicher Verjährung

In der Praxis taucht immer wieder die Frage auf, in welchem Umfang Mitwirkungspflichten für diejenigen Jahre bestehen, die strafrechtlich bereits verjährt sind, bei denen eine steuerrechtliche Festsetzung jedoch noch möglich ist. Dies dürfte zwar für zukünftige Selbstanzeigen nach 2015 nicht mehr so oft relevant sein, wohl aber für Steuerstrafverfahren, die beispielsweise nach einer Betriebsprüfung oder einer anonymen Fremdanzeige eingeleitet wurden.

Manche Finanzämter neigen dazu, für den Zeitraum des “Niemandslands” zwischen strafrechtlicher und steuerrechtlicher Verjährung diverse Unterlagen und Auskünfte bezüglich der Vorjahre anzufordern. Fraglich ist, ob es für diesen Zeitraum überhaupt Rechtsgrundlagen für derartige Auskunftsersuchen (z.B. nach § 93 AO) gibt. Häufig lohnt es sich, genauer hinzuschauen. In der Entscheidung des BFH vom 7.11.06 (VIII R 81/04, bestätigt am 2.4.09, VIII B 176/08) wurde klargestellt, dass das Finanzamt die Beweislast dafür trifft, dass in den Vorjahren eine Steuerhinterziehung vorlag, d.h. keine Festsetzungsverjährung nach § 169 II S.2 AO eingetreten ist. Es gilt der Grundsatz “in dubio pro reo”.

Man kann auch nicht über den Umweg des § 153 AO eine Berichtigungspflicht konstruieren, denn dann würde die strafrechtliche Verjährung ausgehebelt. Außerdem greift § 153 AO grundsätzlich nicht bei vorsätzlicher Hinterziehung (gemäß BGH vom 17.4.2009, 1 StR 479/08 soll allerdings etwas Anderes bei Eventualvorsatz – sog. „dolus eventualis“ – gelten). Selbst wenn der Nachweis einer Steuerhinterziehung gelingt, sind die Folgen eines Verstoßes gegen Auskunfts- und Herausgabeobliegenheiten i.S.d. §§ 9093 AO i.d.R. nur Schätzungen (§ 162 AO).

4) Fazit

Wenn es zum Streit über strafrechtliche oder steuerrechtliche Verjährung kommt, lohnt es sich oft, besonders sorgfältig zu arbeiten und zwei mal hinzuschauen. Dies gilt besonders in dem “Niemandsland”, d.h. dem Zeitraum, der strafrechtlich zwar verjährt ist, steuerrechtlich jedoch noch eine Festsetzung denkbar ist.

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