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Verzugszinsen im Steuerrecht verfassungswidrig

Verfassungswidrige Verzugszinsen im Steuerrecht

Wir befinden uns im Jahr 2018. Ganz Europa ist von einer anhaltenden Niedrigzinsphase betroffen…. Ganz Europa? Nein! Ein nie genug bekommender Fiskus hört nicht auf, sich der globalen Entwicklung entgegenzustellen und verlangt Zinsen, von der gewöhnliche Menschen nur träumen können.

So oder so ähnlich empfinden es Mandanten, die zusätzlich zu einer Steuernachforderung auch noch mit Zinsforderungen in beträchtlicher Höhe konfrontiert werden. Nach § 238 AO betragen die Zinsen, die das Finanzamt verlangen kann, 0,5 % – nicht pro Jahr, sondern pro Monat! Zwar beginnt der Zinslauf bei „normalen“ Steuerforderungen erst 15 Monate nach Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist. Da sich aber gerade streitig geführte Steuer– und Steuerstrafverfahren oftmals über mehrere Jahre hinziehen, sind diese gesparten Monate für den Steuerpflichtigen nur ein schwacher Trost.

Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 25.04.2018 (Az. IX B 21/18)

Der Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 25.04.2018 (Az. IX B 21/18) lässt säumige Steuerzahler hoffen. Erstmals äußert das höchste deutsche Finanzgericht Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen.

Verzugszinsen nach der Abgabenordnung (AO)

Der Zinssatz von 0,5 % pro Monat, also von 6 % pro Jahr, ist seit 1961 konstant. Bei der Einführung zur Zeit der Wirtschaftswunder-Jahre ließ er sich auch tatsächlich nachvollziehbar mit dem Argument der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigen. Auch 1977, als er in die neu kodifizierte Abgabenordnung übernommen wurde, musste er nicht weiter begründet werden. Damals wurde sogar ein Sparbuch mit ca. 4,5 % p.a. verzinst. Allein mit „Verwaltungsvereinfachung“ kann der hohe Finanzamtszinssatz aber in Zeiten des negativen Basiszinssatzes nicht mehr begründet werden. Es ist daher auch nicht überraschend, dass eine Verfassungsbeschwerde zu der Frage anhängig ist, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO für Verzinsungszeiträume seit der Finanzkrise noch verfassungsgemäß ist (Az. 1 BvR 2237/14).

Überraschender ist es eingedenk dieser anhängigen Verfassungsbeschwerde schon, dass die Fachgerichtsbarkeit in den vergangenen Monaten trotzig an den hohen Zinssätzen festhält. Das Finanzgericht Münster hat etwa am 04.04.2017 (Az. 15 K 2127/14) Nachforderungszinsen für das Jahr 2013, das Finanzgericht Köln am 27.04.2017 (Az. 1 K 3648/14) für 2das Jahr 014 für verfassungsmäßig angesehen; das Finanzgericht Köln hat noch am 29.01.2108 (Az. 15 V 3279/17) eine Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, weil gerade keine verfassungsrechtlichen Zweifel am Zinssatz bestehen sollen.

Selbst das höchste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof hat mehrfach das hohe Zinsniveau bestätigt. In seinem Urteil vom 01.07.2014 (Az. IX R 31/13) hat er zwar darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei einer dauerhaften Verfestigung des Niedrigzinsniveaus von Verfassungswegen gehalten ist, die Zinshöhe zu überprüfen. Dieser Hinweis verhallte aber soweit ersichtlich ungehört, insbesondere der Koalitionsvertrag erwähnt den realitätsfernen Zinssatz mit keiner Silbe. Bislang schien sich der BFH auch nicht an dieser legislatorischen Untätigkeit zu stören. Noch am 09.11.2017 (Az. III R 10/16) hat er die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für das Jahr 2013 bestätigt.

Aktueller Beschluss des Bundesfinanzhofs

Umso überraschender ist der Beschluss des BFH vom 25.04.2018 (Az. IX B 21/18), der mit Pressemitteilung vom 14.05.2018 bekannt gemacht worden ist.

In der Sache ging es um einen Außervollzugsetzungsbeschluss. Die Finanzbehörde hat einen Zinsbescheid mit Nachzahlungszinsen von mehr als 240.000,00 Euro erlassen. Grundsätzlich sind derartige Bescheide sofort vollziehbar. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde durch die Finanzbehörde abgelehnt. Um Vollstreckungsmaßnahmen zu verhindern, musste also geklagt werden. Das angerufene Finanzgericht Köln hat die Aussetzung der Vollziehung noch verwehrt.

Anders der BFH in seiner aktuellen Entscheidung. Jedenfalls für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 hat der BFH schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Das Gericht sieht eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG und des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 3 GG durch die „realitätsferne Bemessung“ der Zinshöhe.

Der BFH konnte keine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe finden. In Zeiten moderner Datenverarbeitungstechnik sei ein typisierter Zinssatz allein mit dem Interesse an Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung nicht mehr zu rechtfertigen. Der BFH verweist dabei auf die Regelung des § 247 BGB, der halbjährlich geändert wird, um den aktuellen Basiszinssatz anzugeben. Zusätzlich erwähnt das Gericht auf die Regelung in Art. 13 BayKAG Abs. 1 Nr. 5 lit. b lit. dd des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG), die wiederum auf § 247 BGB Bezug nimmt. Damit sei belegt, dass die Praktikabilität oder die Verwaltungsvereinfachung keinen realitätsfernen Zinssatz rechtfertigen können. Beinahe süffisant stellt das höchste deutsche Steuergericht fest, dass die bayerische Kommunalverwaltung ihre Größe nach kaum an die Finanzverwaltung heranreichen dürfte. Wenn selbst bei den Kommunalabgaben eines Bundeslandes für vergleichbare Zinsfestsetzungen ein realitätsgerechterer Zinssatz als Bezugsgröße gewählt werden kann, muss das auch für die Finanzbehörden gelten.

Auch äußert der BFH Zweifel an Sinn und Zweck des hohen Zinssatzes. Ursprünglich sollte damit der Nutzungsvorteil des Steuerpflichtigen, der potentiell während der Dauer der Steuernichtzahlung realisiert werden konnte, wenigstens zum Teil abgeschöpft werden. In Zeiten von Negativzinsen gibt es diesen Nutzungsvorteil nicht mehr.

Außerdem sieht der BFH eine Verletzung des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleiteten Übermaßverbots. Das Gericht spricht aus, was viele Mandanten äußern, wenn sie von den hohen Zinssatz des Finanzamtes erfahren: „Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein sanktionierender, rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.“

Bedeutung und Ausblick

Der Beschluss des BFH ist zweifellos für den Steuerpflichtigen erfreulich. Eine abschließende Entscheidung ist er allerdings nicht. Zum einen betrifft er nur die Frage der Aussetzung der Vollziehung, die Hauptsacheentscheidung wird damit nicht vorweggenommen. Die Parteien des BFH-Falls haben dazu dem Ruhen des Einspruchsverfahrens wegen der anhängigen Verfassungsbeschwerde zugestimmt. Daher kommt es auf den Ausgang der oben erwähnten Verfassungsbeschwerde an.

Da nicht damit zu rechnen ist, dass der Gesetzgeber tätig wird, ist und bleibt Karlsruhe am Zug. Das Bundesverfassungsgericht hat durch den Bundesfinanzhof gute Argumente erhalten, den absurd hohen Zinssatz für verfassungswidrig zu erklären.

Die Entscheidung des BFH beschäftigt sich zwar nur mit der Zinsfestsetzung für Steuernachzahlungen. Gerade das Argument, die Zinshöheverstoße verstoße gegen das Übermaßverbot, lässt sich aber auch auf andere Verzinsungstatbestände übertragen. Insbesondere gilt das für die Verzinsung nach § 235 AO bei einer Steuerhinterziehung. Der Steuersünder, der wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO verurteilt wird, erhält dafür – wie bei jedem anderen Straftatbestand auch – eine Strafe. Diese Strafe soll tat- und schuldangemessen die Tat sanktionieren. Durch die realitätsfernen Zinsen wird der Steuerpflichtige aber in der Regel doppelt bestraft. Gerade, weil bei Fällen der Steuerhinterziehung bis zu zehn Jahre alte Fälle erneut aufgerollt werden dürfen, können die Zinsnachteile erdrückend sein.

Das gleiche gilt bei strafbefreienden Selbstanzeigen. Auch hier müssen die rückständigen Steuern der letzten zehn Jahre mitsamt sämtlicher Zinsen bezahlt werden. Zusätzliche Strafzahlungen nach § 398a AO fallen eigentlich nur bei besonders großen hinterzogenen Summen an. Rein faktisch wird  aber auch dem kleinen Steuersünder, der Weg zurück in die Steuerehrlichkeit durch den hohen Zinssatz erschwert.

Kippt das Bundesverfassungsgericht die hohen Zinssätze, was durch die Entscheidung des BFH wahrscheinlicher geworden ist, steht auch die finanzielle Doppelbestrafung bei Steuerhinterziehung zur Disposition.

Nachtrag: Aussetzung der Vollziehung

Inzwischen hat auch die Finanzverwaltung auf die neuen Entwicklungen reagiert. Gemäß einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums zur Zinsproblematik vom 14.06.2018 soll in Fällen, bei denen die Höhe der Zinsen streitig ist, in steuerlichen Einspruchsverfahren grundsätzlich Aussetzung der Vollziehung gewährt werden, bis die streitigen Rechtsfragen geklärt sind.