Berufsrechtliche Folgen von Strafverfahren gegen Steuerberater

Kommt es zu einer strafrechtlichen Verurteilung eines Steuerberaters, so droht ihm als weitere Nebenfolge ein berufsrechtliches Verfahren. Ein Strafverteidiger hat diese Gefahr bei der Verteidigung von Berufsträgern frühzeitig im Auge zu behalten.

I. Berufsgericht als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung

Zwischen berufsrechtlichen Verfahren gegen Rechtsanwälte und berufsrechtlichen Verfahren gegen Steuerberater gibt es einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Der wohl wichtigste Unterschied ist verfahrensrechtlicher Natur. Während die Anwaltsgerichte in Berufsrechtsverfahren in erster und zweiter Instanz mit Anwälten selbst besetzt sind, entscheiden in berufsrechtlichen Verfahren gegen Steuerberater in erster Linie Berufsrichter. Vertreter des Berufsstandes sind lediglich als Beisitzer vorgesehen, vergleichbar mit der Funktion von Schöffen.

Für berufsgerichtliche Verfahren gegen Steuerberater sind Spezialkammern bei den Landgerichten bzw. bei den Oberlandesgerichten und beim Bundesgerichtshof zuständig. Es handelt sich bei den jeweiligen Vorsitzenden also um Richter, die normalerweise in „normalen Strafverfahren“ tätig sind. Im Gegensatz zu Rechtsanwälten können Steuerberater bei dieser verfahrensrechtlichen Situation nicht immer darauf vertrauen, dass die Menschen, die über ihr Schicksal zu richten haben, ein besonderes Verständnis für die Sorgen und Nöte eines Freiberuflers haben.

Strafrecht Steuerberater

1) Hemmschwellen für Strafverfolgung gesunken

Noch vor einigen Jahren galt es als gentlemen’s agreement, Strafverfahren gegen Berufsträger nur in extremen Ausnahmefällen einzuleiten. Die Hemmschwelle von Staatsanwälten, Rechtsanwälte und Steuerberater strafrechtlich zu verfolgen, ist in den letzten Jahren jedoch deutlich gesunken. Niemand ist mehr vor Strafverfolgung sicher.

Die strafrechtlichen Gefahrenquellen, denen sich gerade Steuerberater in ihrer alltäglichen Arbeit ausgesetzt sehen, sind vielfältig. Begeht ein Mandant eine Steuerhinterziehung und wird dabei erwischt, ist dessen erster Verteidigungs-Reflex häufig, die Schuld auf den Steuerberater zu schieben. Schenkt die Bußgeld- und Strafsachenstelle bzw. die Staatsanwaltschaft einer solchen Einlassung Glauben, so droht die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gegen den Berater. Wenn die Einlassung des (ehemaligen) Mandanten unwahr ist, steht „Aussage gegen Aussage“.

Kommt es zu der Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Steuerberater, drohen negative Konsequenzen auf mehreren Ebenen:

  • Zunächst einmal trifft den Beschuldigten im Fall einer Verurteilung die Strafe selbst, d.h. Geldstrafe, Bewährungsstrafe oder, in Extremfällen, Freiheitsstrafe ohne Bewährung.
  • Darüber hinaus drohen vielfältige strafrechtliche Nebenfolgen. Diese können von der Entziehung des Führerscheins bis hin zur steuerlichen Haftung reichen. Hinzu kommt auch die Möglichkeit der Vermögensabschöpfung – wenn beispielsweise das Honorar durch den Staat konfisziert wird, das ein Steuerberater dafür erlangt hat, dass er einen Mandanten bei der Steuerhinterziehung unterstützt.
  • Schließlich kommt es regelmäßig mit Erhebung der strafrechtlichen Anklage zeitnah zur Einleitung eines parallel laufenden berufsrechtlichen Ermittlungsverfahrens.

Kommt es zu einer strafrechtlichen Anklage gegen einen Steuerberater, so ist die Staatsanwaltschaft gehalten, dies der Steuerberaterkammer mitzuteilen, wenn der Tatvorwurf im Zusammenhang mit der Berufsausübung steht (vgl. Nr. 23 MiStra). Spätestens dann ist die gesonderte Einleitung eines berufsrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das neben dem Strafverfahren geführt wird, sehr wahrscheinlich.

Die Grundlagen des berufsgerichtlichen Verfahrens gegen Steuerberater sind im sogenannten Steuerberatungsgesetz (StBerG) geregelt.

2) Berufsgerichtliche Maßnahmen und Kriminalstrafen

Eine berufsgerichtliche Maßnahme ist keine Kriminalstrafe. Während Strafe darauf abzielt, den Verurteilten „weh zu tun“, geht es im berufsgerichtlichen Verfahren in erster Linie darum, das Ansehen des Berufsstandes wiederherzustellen sowie „erzieherisch“ auf den Berater einzuwirken. Mit anderen Worten: „Schwarze Schafe“ sollen also solche gebrandmarkt werden. Die berufsständischen Vereinigungen wollen sich durch das berufsgerichtliche Verfahren gewissermaßen wieder „rein waschen“. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Privilegien, die der Beruf des Steuerberaters mit sich bringt, soll nicht zur Begehung von Straftaten missbraucht werden.

Daher steht bei der berufsrechtlichen Sanktion nicht allein der Grad der Schuld im Vordergrund. Vielmehr geht es vor allem auch um die Frage, ob das Verhalten des angeschuldigten Steuerberaters geeignet ist, in der Öffentlichkeit ist das Ansehen des Berufsstandes zu schädigen. Dabei ist auch insbesondere das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und die Wahrung des Vertrauens aller Rechtssuchenden in die Integrität der Zunft der Steuerberater zu berücksichtigen.

3) Disziplinärer bzw. berufsrechtlicher Überhang

Gemäß § 92 StBerG kommt eine berufsgerichtliche Maßnahme neben einer strafrechtlichen Verurteilung eigentlich nur ausnahmsweise in Betracht. Erforderlich ist ein sogenannter disziplinärer bzw. berufsrechtlicher Überhang. Das bedeutet: Es ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob nicht die Strafe als solche schon ausreicht, um die Zwecke des Berufsrechts wiederherzustellen.

Die berufsgerichtliche Ahndung neben einer Strafe oder einer sonstigen Maßnahme (Bußgeld oder Disziplinarstrafe bzw. Maßnahme) verstößt nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fassungs­gerichts nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG, d.h. das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem). Es soll sich bei der berufsgerichtlichen bzw. disziplinarischen Ahndung nämlich um etwas anderes als eine „Strafe“ handeln ( BVerfG vom 02.05.1967. Az. 2 BvR 391/64, 2 BvR 263/66):

„Straf- und Disziplinarrecht unterscheiden sich nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung. Das strafrechtliche Delikt liegt in der Verletzung eines der von der Rechtsordnung allgemein geschützten Rechtsgüter, in einer Störung der öffentlichen Ordnung. Das disziplinäre Vergehen besteht in der Störung der besonderen, nur einem bestimmten Kreis von Staatsbürgern auferlegten Ordnung. Die Kriminalstrafe dient neben der Abschreckung und Besserung der Vergeltung; sie bemisst sich nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Die Disziplinarstrafe ist demgegenüber ihrem Wesen nach Zucht- und Erziehungsmittel; sie bezweckt die Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes und bestimmt sich nach dessen Erfordernissen. Die Kriminalstrafe trifft mit ihren beiden Hauptstrafen den Täter in seinem allgemeinen Staatsbürgerstatus, der Freiheit und dem Vermögen. Die disziplinäre Strafe bezieht sich auf den besonderen Rechts- und Pflichtenstatus des Betroffenen.“

Anders Formuliert: Die disziplinarrechtliche Sanktion ist nicht dazu da, den Betroffenen ein weiteres Übel zuzufügen, sondern zielt auf andere Zwecke ab. Daher soll das Verbot der Doppelbestrafung einer berufsgerichtlichen Verurteilung neben einer strafrechtlichen Verurteilung nicht entgegen stehen. Dieser Gedanke liegt auch § 92 StBerG zu Grunde.

Diese Rechtsprechung aus dem Jahr 1967 dürfte das BVerfG auch heute noch auf­recht­erhalten. Es kann jedoch gut sein, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dies anders sieht. Da die Verfahren dort durchschnittlich 5 bis 7 Jahre lang dauern, ist eine EGMR-Beschwerde meist keine praxistaugliche Option für eine Verteidigungsstrategie, wenn es beispielsweise darum geht, ein Berufsverbot zu verhindern.

Ein disziplinärer Überhang wird dann bejaht, wenn diese Ahndung erforderlich ist, um den Steuerberater zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufs zu wahren. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Eine berufsgerichtliche Ahndung neben einer strafrechtlichen Verurteilung wegen desselben Sachverhalts kann nur noch in Betracht kommen, um eine erforderliche erzieherische Wirkung auf den Berufsangehörigen auszuüben und zusätzlich das durch sein Verhalten beeinträchtigte Ansehen des Berufs zu wahren (OLG Celle, 06.02.2017 – 1 StO 1/16).

Ein berufsrechtlicher Überhang wird insbesondere dann bejaht, wenn eine Straftat im Zusammenhang mit der Berufsausübung steht. So ging beispielsweise das Oberlandesgericht München davon aus, dass falsche Angaben in einer Steuererklärung, auch wenn es sich um die eigene handelt, in besonderem Maße geeignet seien, Achtung und Vertrauen in einer für das Ansehen des Berufes bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (OLG München 19.6.08, 2 StO 2/08, DStRE 09, 831).  Obwohl sich die Steuerklärungspflicht nicht nur an Steuerberater, sondern genauso an alle anderen richtet, wird die Missachtung dieser Pflichten (auch in eigener Sache) folglich als Berufspflichtverletzung nach § 89 Abs. 1 StBerG und nicht etwa als außerhalb des Berufs liegendes Verhalten nach § 89 Abs. 2 StBerG betrachtet.

92 S. 1 StBerG setzt die Verhängung einer Strafe, Disziplinarmaßname, ehrengerichtlichen Maßnahme, anderweitigen berufsgerichtlichen Maßnahme oder einer Ordnungsmaßnahme voraus. In Fällen der Einstellung nach § 153, § 153a StPO oder eines Freispruchs (dann unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 StBerG) kann eine berufsgerichtliche Ahndung daher auch ohne das Vorliegen eines disziplinären Überhangs erfolgen. Eine berufsgerichtliche Maßnahme kommt daher sogar bei der Abgabe einer (eigenen) strafbefreienden Selbstanzeige in Betracht. Die Selbstanzeige stellt lediglich einen persönlichen Strafausschließungsgrund dar, lässt aber die Rechtswidrigkeit der Straftat und die Schuld des Täters unberührt. Im berufsgerichtlichen Verfahren geht es aber nicht um die Frage der schuldangemessenen Strafe, sondern um diejenige Reaktion auf ein berufliches Fehlverhalten, die geeignet und erforderlich ist, die Funktionsfähigkeit und Integrität des Berufsstandes zu gewährleisten (LG Frankfurt/M. v. 17.6.2011 – 5/35 StL 7/11).

Davon abgesehen kommt ein disziplinärer Überhang insbesondere in den Bereichen der Vermögensdelikte wie Unterschlagung oder Untreue in Betracht. Bei diesen Delikten wird das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Steuerberaterberufs in besonderen Maße erschüttert (LG Düsseldorf v. 23.7.2010 – 45 StL 2/10; s.a. OLG Koblenz v. 29.7.2009 – 2 St 1/09).

Keine sichere Verteidigungsstrategie ist es, im Strafverfahren auf eine hohe Strafe hinzuwirken, in der Hoffnung, dadurch zusätzliche berufsrechtliche Maßnahmen verhindern zu können. So geht beispielsweise das OLG Koblenz davon aus, dass gerade in den Fällen, in denen das Strafverfahren zu einer erheblichen Bestrafung geführt hat, in aller Regel zur Wahrung des Ansehens des Berufes eine berufsgerichtliche Ahndung geboten sei (OLG Koblenz v. 29.7.2009 – 2 St 1/09).

4) Bindungswirkung Strafverfahren

Für die Entscheidung im berufsgerichtlichen Verfahren sind die tatsächlichen Feststellungen einer vorangegangenen Verurteilung im Strafverfahren grundsätzlich bindend, § 109 Abs. 3 StBerG.

Diese Bindungswirkung kommt nur echten Urteilen zu, nicht hingegen einem Strafbefehl oder Bußgeldbescheid (LG Düsseldorf vom 01.06.1979, Az. 45 StL 2/79). Denn nur tatsächliche Feststellungen, die aufgrund einer Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung getroffen worden sind, bieten die Gewähr verlässlicher Aufklärung bei ausreichender Gelegenheit zu rechtlichem Gehör. Die Bindungswirkung echter Urteile in Straf- oder Bußgeldverfahren erstreckt sich nur auf solche Feststellungen, auf denen sie beruhen, also nicht auf Tatsachen, die für die straf- oder bußgeldrechtliche Entscheidung keinerlei rechtliche Relevanz haben.

Ausnahmsweise kann das Berufsgericht eine erneute Beweisaufnahme beschließen. Es darf insbesondere nicht „sehenden Auges“ auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden. Deshalb entfällt die Bindungswirkung des § 109 Abs. 3 Satz 1 StBerG unter anderem bei Strafurteilen, die in einem ausschlaggebenden Punkt unter offenkundiger Verletzung zentraler Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind (BGH StbSt (R) 1/15 – Beschluss vom 11. Dezember 2015). Dies liegt insbesondere bei fragwürdigen „Deals im Strafverfahren“ häufig nahe.

5)    Verhältnis zum Strafverfahren: Beschleunigungsgebot

Gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 StBerG ist ein berufsgerichtliches Verfahren grundsätzlich auszusetzen, wenn bereits eine strafrechtliche Anklage erhoben wurde. Gemäß § 109 Abs. 1 S. 3 ist das berufsgerichtliche Verfahren indes fortzusetzen wenn die Sachaufklärung so gesichert erscheint, dass widersprechende Entscheidungen nicht zu erwarten sind.

Die Ausnahmevorschrift greift, wenn entweder die Sachaufklärung so gesichert erscheint, dass widersprechende Entscheidungen nicht zu erwarten sind oder im Strafverfahren aus in der Person des jeweils betroffenen Berufsangehörigen liegenden Gründen nicht verhandelt werden kann. In diesem Fällen muss das Berufsgericht bzw. die Anschuldigungsbehörde das berufsgerichtliche Verfahren fortsetzen. Es handelt bei dieser zwingenden Verfahrensvorschrift um eine Spezialvorschrift zu der fakultativen Norm des § 111 StBerG, wonach das berufsgerichtliche Verfahren ausgesetzt werden kann, wenn in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung im berufsgerichtlichen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist.

Fraglich ist, ob sich das Beschleunigungsgebot des § 109 Abs. 1 StBerG nur an das Berufsgericht, sondern bereits vor der förmlichen „Einleitung“ des berufsgerichtlichen Verfahrens (§ 114 StBerG) an die Staatsanwaltschaft richtet.

In der Praxis wird diese Frage selten gestellt. Vielmehr wartet die für die Bearbeitung des berufsgerichtlichen Verfahrens zuständige Staatsanwaltschaft meist ab, bis das Strafverfahren endgültig abgeschlossen ist. Dies ist nicht nur deshalb fragwürdig, weil nach oft jahrelangem Warten eine berufsrechtliche Sanktion ihren Zweck verfehlt. Darüber hinaus besteht bei der gängigen Praxis keine Möglichkeit, beispielsweise im Rahmen einer Absprache mit dem Strafgericht zugleich eine Absprache mit dem Berufsgericht über etwaige zusätzliche Konsequenzen zu treffen.

Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 S. 3 StBerG läuft in der gegenwärtigen Praxis praktisch leer, solange noch keine Anschuldigungsschrift bei Gericht eingegangen ist. Dass § 109 Abs. 1 S. 3 StBerG sich als Handlungsgebot jedoch auch unmittelbar an die Staatsanwaltschaft richtet, folgt u.a. daraus, dass S. 3 an S. 1 des ersten Absatzes anknüpft und die dort erwähnte „Einleitung“ des Verfahrens im förmlichen Sinne (= Einreichung der Anschuldigungsschrift, § 114 StBerG) nur durch die Staatsanwaltschaft möglich ist. Im Übrigen ist kein Grund ersichtlich, weshalb bei einem feststehenden Sachverhalt zwar eine gerichtliche Entscheidung im berufsgerichtlichen Verfahren zulässig sein sollte, nicht aber eine Anschuldigungsschrift – denn eine solche ist notwendige Bedingung für eine „Fortsetzung“ des Verfahrens i.S.v. § 109 Abs. 1 S. 3 StBerG. Die gegenwärtige Praxis des „Abwartens“ ist daher zu überdenken. Interpretiert man § 109 Abs. 1 S. 3 StBerG als Handlungsgebot, das sich AUCH direkt an die Staatsanwaltschaft richtet, MUSS ein Staatsanwaltschaft das Verfahren weiter betreiben, sobald eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage feststeht.

Das Gesetz selbst ordnet keine Rechtsfolge bei einem Verstoß gegen die zwingende Vorschrift des § 109 Abs. 1 S. 3 StBerG an. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Verstoß folgenlos ist. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur Fortsetzung des Verfahrens dazu führt, dass für die Hemmung der Verjährung gemäß § 93 Abs. 2 StBerG auf den Zeitpunkt abgestellt wird, zu dem das Verfahren hätte fortgesetzt werden müssen.

Der Gesetzgeber nimmt die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bei strenger Beachtung des Beschleunigungsgebots in Kauf. Dazu kommt es, wenn sich Fehler in der strafrechtlichen Verurteilung erst herausstellen, nachdem bereits eine berufsrechtliche Sanktion verhängt wurde. Für diesen Fall schafft § 109 Abs. 4 StBerG einen besonderen Wiederaufnahmegrund für das berufsgerichtliche Verfahren. Auch in dieser selten beachteten Vorschrift wird deutlich, dass die gegenwärtige Praxis der Staatsanwaltschaften, erst NACH dem endgültigen Abschluss eines Strafverfahrens durch die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens „nachzutreten“, auf tönernen Füßen steht.

II. Ablauf des berufsgerichtlichen Verfahrens

1)    Anschuldigungsschrift und erste Instanz

In der Regel wird schon mit Erhebung einer strafrechtlichen Anklage gegen einen Steuerberater eine Mitteilung an den Generalstaatsanwalt des jeweiligen Bezirks gemacht. Diese Mitteilung erfolgt in der Regel auf Veranlassung des jeweiligen Sachbearbeiters im Ausgangs-Strafverfahren, vermittelt durch den leitenden Oberstaatsanwalt. Der Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen einen Steuerberater ist auch dann möglich, wenn bereits durch die Kammer eine Rüge erteilt wurde.

Bei der Generalstaatsanwaltschaft wird zunächst erstmal ein Aktenzeichen vergeben, beispielsweise „2 StV 28/18“. Die erste Zahl bedeutete dabei das Referat, in dem der Fall bearbeitet wird. „StV“ ist die allgemeine Bezeichnung von berufsrechtlichen Verfahren von Steuerberatern bei der Generalstaatsanwaltschaft. Wie bei vielen Aktenzeichen, die in der Justiz verwendet werden, erschließt sich die Bedeutung der verwendeten Abkürzung nicht ohne Weiteres.

In der Regel erhält der beschuldigte Steuerberater in einem Strafverfahrens daher kurz nach der strafrechtlichen Anklage auch das Schreiben des Generalstaatsanwalts, in dem die Einleitung eines berufsrechtlichen Verfahrens mitgeteilt wird.

Endet das Ausgangs-Strafverfahren mit einer Einstellung oder einem Freispruch, wird auch das berufsrechtliche Verfahren kurz danach eingestellt. Meist geschieht dies auch, wenn Ausgangsverfahren gemäß § 153a StPO gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde. Sicher ist dies allerdings nicht (vgl. oben unter I.3)!

Endet das strafrechtliche Ausgangsverfahren hingegen mit einer Verurteilung, beginnt der Generalstaatsanwalt spätestens dann seine eigentliche Arbeit im berufsrechtlichen Verfahren, indem er eine sogenannte Anschuldigungsschrift bei der zuständigen Spezialkammer des Landgerichts einreicht (vgl. § 114 StBerG).

Die Sachverhaltsschilderung der Anschuldigungsschrift ist ähnlich aufgebaut, wie eine Anklageschrift im „normalen“ Strafverfahren. Während im allgemeinen Strafprozess jedoch meist sehr konkret auf einzelne Tatbestände des Strafgesetzbuches (StGB) Bezug genommen wird, ist der Anklagesatz in einer berufsrechtlichen Anklageschrift in der Regel sehr allgemein gehalten, etwa wie folgt:

„Der Betroffene wird angeschuldigt, vorsätzlich als Steuerberater seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt zu haben und vorsätzlich als Steuerberater sich nicht jeder Tätigkeit enthalten zu haben, die mit seinem Beruf oder dem Ansehen des Berufs nicht vereinbar ist, zu ahnden als vorsätzliche Verletzung allgemeiner Berufspflichten gemäß §§ 57 Abs. 1, Abs. 2, 89 Abs. 1 StBerG.“

Kommt es zur Eröffnung des Hauptverfahrens vom dem Landgericht, bekommt das berufsrechtliche Verfahren in erster Instanz ein StL-Aktenzeichen und es findet eine Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht statt.

Anders als normale Strafverfahren finden berufsgerichtliche Verfahren in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auf Antrag kann die Öffentlichkeit jedoch hergestellt werden (§ 122 Abs. 1 StBerG).

2) Berufung (zweite Instanz)

Gegen eine berufsgerichtliche Verurteilung ist eine Berufung möglich. Bezüglich dieses Rechtsmittels gelten wenige Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Strafrecht. Die Berufungshauptverhandlung findet allerdings in Abweichung von den allgemeinen Zuständigkeiten vor einem Spezialsenat beim Oberlandesgericht statt

3) Revision

Größere Abweichungen bei den Rechtsmitteln ergeben sich im Vergleich zum allgemeinen Strafrecht im Hinblick auf die Revision. Während die Revision im Strafverfahren ohne besondere Einschränkung statthaft ist (§ 333 StPO), ist die Statthaftigkeit der Revision im berufsgerichtlichen Verfahren beschränkt. Eine sog. Sprungrevision, wie sie § 335 StPO vorsieht, kennt das berufsgerichtliche Verfahren nicht.

Eine Revision ist im berufsgerichtlichen Verfahren nur dann ohne besondere Hürden für den Betroffenen statthaft, wenn er zu einer Ausschließung aus dem Beruf verurteilt wurde (§ 129 Abs. 1 Nr. 1 StBerG). Gemäß § 129 Abs. 1 Nr. 2 StBerG kann zwar dem Wortlaut nach auch dann Revision eingelegt werden, wenn die Staatsanwaltschaft eine Ausschließung aus dem Beruf (§ 90 Abs. 1 Nr. 5 StBerG) beantragt hat, das Oberlandesgericht diesem Antrag jedoch nicht nachgekommen ist. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine solche Revision jedoch – entgegen dem Wortlaut der Norm! – nicht von dem betroffenen Berufsangehörigen, sondern nur von der Staatsanwaltschaft eingelegt werden (BGH vom 11.12.1961, Az. AnwSt (B) 6/61).

In allen anderen Fällen ist die Revision – vergleichbar mit dem Verfahren beim Bundesfinanzhof nach der FGO – nur dann zulässig, wenn sie zugelassen wurde oder eine erfolgreiche Nicht-Zulassungsbeschwerde eingelegt wurde.

129 Abs. 1 Nr. 1–3 StBerG enthält diesbezüglich einen abschließenden Zulässigkeitskatalog für das Rechtsmittel der Revision im berufsgerichtlichen Verfahren. Materielle Voraussetzung der Zulassungsentscheidung ist nach § 129 Abs. 2 StBerG, dass das Berufungsgericht über Rechtsfragen in materieller wie in verfahrensrechtlicher Hinsicht entschieden hat, die für das Berufsrecht, insbesondere die Fragen der Berufspflichten, oder für das berufsgerichtliche Verfahrensrecht von grundsätzlicher Bedeutung sind. Es muss sich also um Rechtsfragen handeln, die von allgemeiner Bedeutung sind und deren Beantwortung kontrovers ist und nicht auf der Hand liegt; außerdem muss der Berufsstand ein dringendes Interesse an einer Klärung dieser Fragen haben. Voraussetzung ist weiter, dass sie vom BGH noch nicht entschieden worden sind.

III. Berufsrechtliche Sanktionen

Die möglichen Sanktionen, die im Falle einer berufsgerichtlichen Verurteilung verhängt werden können, sind in § 90 StBerG aufgezählt:

  1. Warnung
  2. Verweis
  3. Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro
  4. Berufsverbot für die Dauer von einem bis zu fünf Jahren
  5. Ausschließung aus dem Beruf.

Grundsätzlich hat sich das Berufsgericht zwischen den verschiedenen Maßnahmen mit unterschiedlicher Eingriffsintensität zu entscheiden. Verweis und Geldbuße können allerdings auch nebeneinander verhängt werden.

Weitere oder andersartige Maßnahmen als die in § 90 StBerG aufgezählten kennt das Steuerberatungsgesetz nicht. Auffällig ist, dass eine inhaltliche Beschränkung oder eine Befristung der Ausschließung aus dem Beruf, wie sie beispielsweise für Rechtsanwälte gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO möglich ist, für Steuerberater nicht vorgesehen ist.

Wird ein befristetes Berufsverbot i.S.v. § 90 Abs. 1 Nr. 4 StBerG verhängt, so besteht die Bestellung als Steuerberater dem Grunde nach fort. Sie ruht lediglich vorübergehend. Der betroffene Steuerberater ist also während des Verbotszeitraums rechtlich gehindert, seinen Beruf auszuüben. Es besteht daher die Möglichkeit, einen allgemeinen Vertreter zu bestellen (§ 69 Abs. 1 StBerG). Durch die Bestellung eines Vertreters kann beispielsweise eine laufende Kanzlei für die Dauer des befristeten Berufsverbots „gerettet“ werden.

Die Möglichkeit einer Vertretung ist allerdings auf zwei Jahre begrenzt (§ 69 Abs. 5 Satz 1 StBerG). Die Verhängung eines Berufsverbots, das länger als zwei Jahre dauert, kommt daher faktisch in vielen Fällen einem Ausschluss aus dem Beruf gleich und lässt sich nur in besonders gravierenden Fällen rechtfertigen.

Die Ausschließung aus dem Beruf gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 5 StBerG darf schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht lebenslang sein (Art. 12 GG). Daher sieht § 48 Abs. 1 Nr. 2 StBerG die Möglichkeit der Wiederbestellung nach Ablauf von mindestens acht Jahren vor.

IV. Typische berufsrechtliche Verstöße

1)    Berufsverstöße als Straftaten

Das Strafbarkeitsrisiko für Steuerberater ist hoch. Steuerberatung ist gefahrgeneigte Arbeit. Kommt es zu Strafverfahren gegen Berufsträger liegt der Vorwurf oft in der Beihilfe zu Straftaten des eigenen Mandanten. Dieses Risiko ist besonders hoch, wenn die betreuten Unternehmen insolvenzgefährdet sind.

Typische Straftaten, die regelmäßig zu berufsrechtlichen Konsequenzen führen, sind beispielsweise:

  • Rückdatierung von Verträgen bzw. Manipulationen von Sachverhalten zur Ermöglichung einer Steuerhinterziehung durch den Mandanten (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 02.12.2016, Az. 1 StL 14/16);
  • Firmenbestattungen – z.B. Mitwirkung bei dem „Verkauf“ einer insolventen GmbH an ausländische Strohleute (= u.a. Beihilfe zur Insolvenzverschleppung i.S.v. § 15a Abs. 4 InsO);
  • Umsatzsteuer-Karusselle – hier ist häufig sehr umstritten, inwieweit ein Steuerberater vorsätzlich handelt, wenn er hätte erkennen können und erkennen müssen, dass er an einem kriminellen System teilnimmt;
  • Mitwirkung bei betrügerischen Internet-Geschäften;
  • Geldwäsche

2)    Berufsverstöße, die keine Straftaten sind

Nicht nur Straftaten im Sinne des StGB können zu berufsrechtlichen Sanktionen führen. Gemäß § 57 Abs. 2 StBerG haben sich Steuerberater jeder Tätigkeit zu enthalten die mit ihrem Beruf oder mit dem Ansehen des Berufsstandes nicht vereinbar ist. Steuerberater haben sich demgemäß auch außerhalb ihrer Berufstätigkeit des Vertrauens und der Achtung würdig zu erweisen, die ihr Beruf mit sich bringt.

Wird ein Verstoß gegen diese berufsrechtlichen Grundpflichten angenommen, so kann die Steuerberaterkammer selbst beim Generalstaatsanwalt die Einleitung eines berufsrechtlichen Ermittlungsverfahrens beantragen. Über diesen Umweg können selbst scheinbare „Lappalien“ drastische Folgen nach sich ziehen.

Zu eigenständigen Verfahren kann es beispielsweise bei folgenden Verstößen gegen das Berufsrecht kommen – auch ohne vorangegangenes Strafverfahren:

Macht sich ein Steuerberater als faktischer Geschäftsführer eines gewerblichen Unternehmens einer Insolvenzverschleppung strafbar, so hat er nach Auffassung des Landgerichts Nürnberg-Fürth zusätzlich auch gegen das berufsrechtliche Verbot der Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit nach § 57 Abs. 4 StBerG verstoßen (LG Nürnberg-Fürth v. 14.12.2004, Az. StL 11/2004).

V. Verjährung

Gemäß § 93 I StBerG verjähren Berufspflichtverletzungen grundsätzlich in fünf Jahren. Nach § 93 II StBerG ist die Verjährungsfrist gehemmt, wenn wegen desselben Sachverhalts bereits ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

Die strafrechtlichen Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung gelten entsprechend. Unterbrechung bedeutet, dass die Verjährung von neuem beginnt (vgl. § 78c Abs. 3 StGB). Das bedeutet beispielsweise, dass die Verjährung von neuem beginnt, wenn zwischen der Einreichung einer berufsgerichtlichen Anschuldigungsschrift und der Eröffnung des berufsgerichtlichen Hauptverfahrens weniger als fünf Jahre liegen.

Auch in Fällen, bei denen ein berufsgerichtliches Verfahren mehr als fünf Jahre stillsteht, ohne dass es zu verjährungsunterbrechenden Maßnahmen kommt, tritt indes nicht zwingend Verjährung ein. Das berufsgerichtlichen wird nämlich gemäß § 93 Abs. 2 StBerG so lange gehemmt, wie das Strafverfahren andauert. Bei einer Hemmung der Verjährung fängt die Frist, anders als bei der Unterbrechung, nicht von neuem an zu laufen.

Fraglich ist, ob eine Hemmung der Verjährung gemäß § 93 Abs. 2 StBerG, die länger als die eigentliche Verjährung dauert, mit dem Zweck des berufsrechtlichen Verfahrens vereinbar ist. In einem solchen Fall ist jedenfalls fraglich, ob ein berufsrechtlicher Überhang vorliegt, der eine zusätzliche berufsgerichtliche Maßnahme i.S.v. § 92 StBerG neben einer strafrechtlichen Verurteilung erforderlich macht.

Auch in den Fällen, in denen ein Verfahren unter Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des § 109 Abs. 1 S. 3 StBerG verschleppt wurde, ist die Verjährung (insbesondere die Hemmung der Verjährung) durch die Verteidigung besonders kritisch zu prüfen.