Internetrecht

Das Internetrecht umfasst so viele unterschiedliche Teilgebiete, dass teilweise sogar daran gezweifelt wird, ob es überhaupt eine eigenständige juristische Materie ist.

In der Tat handelt es sich um eine Schnittmenge aus den Gebieten des Telekommunikations-, Telemedien- und Rundfunkrechts, soweit es um die rechtliche Einordnung infrastruktureller Fragen geht. Hiervon sind also etwa Internetserviceprovider betroffen, aber auch klassische Medien, wie etwa das Fernsehen oder die Presse. In diesem Zusammenhang können auch verfassungsrechtliche Fragen von Bedeutung sein, beispielsweise wenn es um mögliche Eingriffe in die Berufsfreiheit der Inhaltsanbieter geht.

Unternehmen dagegen sind im Bereich des Internetrechts eher von Fragen des Wettbewerbs-, Namens- und Urheberrechts betroffen. Darum geht es etwa bei dem derzeit noch offenen Rechtsstreit zwischen der GEMA und Youtube. Dieser Rechtsstreit ist der Hintergrund dafür, dass auf dem Streaming-Portal Youtube von Deutschland aus manche Musikvideos nicht aufgerufen werden können.

Verbraucher-, Daten- und Jugendschutz sind im Internet ebenfalls von Bedeutung. Dies dringt beispielsweise dann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, wenn Facebook wieder einmal seine Datenschutzrichtlinien ändert. Gerade der Umgang mit sensiblen Daten der Nutzer in sozialen Netzwerken stellt das Recht hier vor ständig neue Herausforderungen. Auch im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht, d.h. bei der Internetnutzung am Arbeitsplatz, sind hier noch viele Fragen offen.

Von zentraler Bedeutung ist schließlich auch das Strafrecht. Die Verfahren gegen die Betreiber von kino.to und der Prozess gegen Kim Dotcom, den Gründer des Angebots Megaupload, sind ebenso prominente Beispiele für die strafrechtliche Relevanz des Cyberspace wie die Aufdeckung des „Bundestrojaners“ oder Strafverfahren gegen Hacker und sogar gegen Unterstützer der Netzbewegung „Anonymous“.

Sehr oft lassen sich die Probleme eines konkreten Falles aber gar nicht genau voneinander abgrenzen. In der Praxis sind die Fälle meist komplex und mehrere Aspekte verschiedener Rechtsgebiete sind gleichzeitig betroffen. Wenn etwa unbedachte eBay-Auktionäre ein urheberrechtlich geschütztes Photo einstellen, können sie sich zivilrechtlich schadensersatzpflichtig machen. Daneben besteht gegebenenfalls ein Unterlassungsanspruch, der seine Wurzeln im Urheberrecht hat. Eine Verletzung des Urheberrechts kann ihrerseits dann wieder strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Auch die Probleme mit illegalen Downloads in Tauschbörsen (Filesharing) sind ein Beispiel für die Vernetzung der Rechtsgebiete: Um den Anschlussinhaber zu ermitteln, können die verletzten Rechteinhaber aufgrund von Regelungen im Telekommunikations- und Telemedienrecht von den Internetanbietern Auskunft über die Kundendaten (IP-Adresse) verlangen. An das nach urheberstrafrechtlichen Maßstäben zu beurteilende Verhalten werden dann regelmäßig zivilrechtliche Konsequenzen geknüpft, deren Grundlagen sich wiederum im Urheberrecht finden.

Auch wenn das immer wieder zu lesen ist, ist das Internet alles andere als ein rechtsfreier Raum. Es ist vielmehr eine Fundgrube für immer neue Fragen, mit denen sich die Juristen befassen müssen. Gleichzeitig sind hier so viele verschiedene Probleme einzelner Spezialgesetze betroffen, dass sich das Internetrecht in der Praxis als ein eigenständiges Rechtsgebiet etabliert hat.

Noch vor wenigen Jahren war das Urheberrecht ein sehr spezielles Rechtsgebiet, das nur Künstler, Verlage und Verwertungsgesellschaften (z.B. die GEMA) interessierte. Das hat sich durch das Internet geändert. Heute sehen sich viele Menschen mit Abmahnungen wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen konfrontiert, die in ihrem Leben zuvor noch nie mit einem Rechtsanwalt ober dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) zu tun hatten.

Das Urheberrecht ist geschichtlich gesehen eine relativ junge Rechtsmaterie. Noch im vorletzten Jahrhundert spielte der Schutz des geistigen Eigentums kaum eine Rolle. Wenn es um Geld, Schmuck oder Lebensmittel geht, kann sich jeder leicht vorstellen, wie ein derartiger Gegenstand gestohlen wird. Man kann sich auch leicht vorstellen, wie man sich dagegen zur Wehr setzt, indem man beispielsweise den Gegenstand gut verschließt.

Beim sog. „geistigen Eigentum“ sieht das anders aus. Hier merkt es der „Bestohlene“ oft gar nicht, wenn jemand unrechtmäßige Kopien seines geschützten Werkes anfertigt. Juristisch ausgedrückt kann man auch davon sprechen, dass es im Fall einer Urheberrechtsverletzung beim Verletzten nur in den seltensten Fällen zu einer „Entreicherung“ kommt.

Gleichzeitig lassen sich dank moderner schneller Datenleitungen im Internet heutzutage Raubkopien von Musikstücken, Filmen, Software oder E-Books in Sekundenschnelle millionenfach verbreiten. Auf Datenträgern, die nicht mehr größer als eine Euro-Münze sein müssen, können gigantische Mengen an Daten kopiert und weltweit zum Download zur Verfügung gestellt werden. Filme, Texte, Musik und Fotos können über Filesharing-Programme bzw. BitTorrent-Netzwerke in Sekundenschnelle millionenfach reproduziert werden.

In Pionierzeiten des Internets war für viele Nutzer die Faszination, über Tauschbörsen wie Napster an fast jeden Titel zu kommen, so groß, dass es schon fast einen sportlichen Ehrgeiz darstellte, möglichst viele Titel zu sammeln und diese dann anderen Nutzern zu präsentieren. Nicht selten ist auch das Phänomen zu beachten, dass ein gewisser Stolz damit einhergeht, wenn man sich beispielsweise eine Software kopiert, deren Nutzungslizenz einige tausend Euro kostet – ganz unabhängig davon, ob man sie nun braucht oder nicht.

Für die Internetgeneration ist die freie Nutzung der virtuellen Kulturgüter eine Lebenseinstellung. Die Betreiber einschlägiger Netzwerke sehen sich als Vorkämpfer eines freien Informations- und Datenflusses. Dieser Geist kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sich die Foren Namen wie beispielsweise ThePirateBay geben. Man sieht sich als David im Kampf gegen den übermächtigen Goliath – die von internationalen Großkonzernen gesteuerte Film- und Musikindustrie.

Doch die Kopie von Musik und Filmen ist längst nicht mehr so harmlos, wie es früher der Fall war, als man noch mit dem Kassettenrekorder die Top 10 Hits aus dem Radio aufgenommen hat oder der Geliebten eine CD mit den Lieblingsliedern gebrannt hat.

Heute sehen sich die Künstler, Musikfirmen, Verlage und Filmverleiher immer neuen Herausforderungen ausgesetzt. Zwar bietet das Internet ungeahnte Möglichkeiten der kommerziellen Nutzung. Für Künstler, die noch nicht bekannt sind, ist die Verbreitung ihrer Songs über Twitter, Youtube oder Filesharing-Börsen heute nicht selten der Weg zum Erfolg.

Andererseits ist es heute praktisch unmöglich zu verhindern, dass kommerziell hergestellte Filme oder Musik überall verbreitet werden. Im April 2012 schrieb die Süddeutsche Zeitung dazu: „Der Schutz des Urheberrechts gleicht dem Versuch, Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken.“

Es gibt viele Vorurteile und Unsicherheiten im Internet. Während den meisten Nutzern inzwischen bekannt sein dürfte, dass beispielsweise Photos oder Texte, die auf fremden Webseiten eingestellt werden, nicht einfach kopiert werden dürfen, kommt man bei anderen alltäglichen Vorgängen im Internet schnell in Grauzonen.

Für die internationalen Großkonzerne haben derartige Streitfragen meist jedoch nur Bedeutung für ihre Verhandlungsposition gegenüber der Unterhaltungsindustrie (die ja auch ein Interesse daran hat, auf den wichtigsten Portalen präsent zu sein). Für private Nutzer sieht das anders aus. Wer als Privatperson eine Abmahnung wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Urheberrecht erhält, steht meist vor der Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder er beugt sich und bemüht sich um Schadensbegrenzung. Er wird dann aber nie erfahren, ob er nicht doch Recht bekommen hätte, wenn er sich auf einen Gerichtsstreit eingelassen hätte. Oder er sucht den Kampf. Bei dieser Variante geht er oft unübersehbare Kostenrisiken ein.

Für Anwälte besteht die Herausforderung darin, eine optimale Strategie zu entwickeln, mit der man das Risiko minimieren kann, ohne vorschnell zu kapitulieren.