Öffentlichkeit im Strafverfahren

Der tagelange Streit um die Vergabe der Sitzplätze zu Beginn des NSU-Verfahren vor dem OLG München rückte im Jahr 2013 einen der zentralen Grundsätze des Strafverfahrens wieder in das Zentrum öffentlicher Wahrnehmung. Dabei zeigte sich recht deutlich, dass bei einem weltweiten Interesse an deutschen Strafprozessen nicht nur manche Gerichte, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen den Erwartungen der Öffentlichkeit nicht immer gerecht werden.

Der in § 169 GVG niedergelegte Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (nur sie muss öffentlich sein; das Ermittlungsverfahren findet in der Regel im Verborgenen statt) ist kein Verfahrensgrundsatz von Verfassungsrang. Er ist dennoch von großer Bedeutung. Wird gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit verstoßen, kann ein Urteil alleine wegen dieses formalen Fehlers im Rahmen einer Revision aufgehoben werden. Ein Urteil, das nicht öffentlich verhandelt wurde, gilt als rechtlich fehlerhaft zustande gekommen – unabhängig davon, ob der Verstoß tatsächlich ursächlich für das Ergebnis war. Hintergrund ist die Idee, das Vertrauen in die Gerichte durch öffentliche Kontrolle zu bestärken und dem Bürger die Gelegenheit zu geben, sich von der Rechtmäßigkeit des Rechtsfindungsprozesses überzeugen zu können. Dementsprechend ist es der Justiz verboten, Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, interessierte Zuhörer abzuschrecken, wie etwa deren Erfassung durch Polizeibeamte. Nicht zuletzt wird damit der Entstehung einer Geheimjustiz, wie sie für totalitäre Staaten und Diktaturen typisch ist, entgegengetreten.

Ein Strafverfahren ist aber gleichzeitig mit besonders intensiven Eingriffen in die Rechte des Beschuldigten – nicht zuletzt in seine Privatsphäre – verbunden. In manchen Fällen kann daher die Öffentlichkeit beschränkt werden – teilweise ist das sogar der gesetzliche Regelfall. So sind Strafverfahren gegen Jugendliche beispielsweise gem. § 48 JGG stets nicht-öffentlich; der Schutz der Privatsphäre des Minderjährigen geht dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit vor. Ähnliches gilt nach § 171b GVG, wenn während des Prozesses „Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde“. Zu den Aufgaben von Strafverteidigern gehört bei medialer Aufmerksamkeit auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte ihrer Mandanten.

Wie diese Vorschriften zeigen, gilt der Grundsatz der öffentlichen Verhandlung nicht grenzenlos. Neben rechtlichen Gesichtspunkten führen von vornherein rein faktische Aspekte zu einer Beschränkung der Öffentlichkeit. So hat beispielsweise nicht jeder Interessierte einen Anspruch darauf, in den Verhandlungssaal eingelassen zu werden. Sind die Räumlichkeiten begrenzt, kann eben nur eine begrenzte Zahl von Zuhörern Platz finden. Gleichzeitig verbietet § 169 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) die Herstellung von „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen“. Die Öffentlichkeit der Verhandlung umfasst somit nicht eine mittelbare Teilnahme im Wege einer Fernsehübertragung. Diese Umstände führen dazu, dass in der Geschichte der Bundesrepublik bereits einige Großprozesse außerhalb des Gerichtssaals geführt wurden. So wurde etwa einer der Frankfurter Auschwitzprozesse in einem Saal des Frankfurter Rathauses verlegt, um alle Prozessbeteiligten unterbringen und dem weltweiten öffentlichen Interesse gerecht werden zu können. Ein derartiges Vorgehen ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich Eine Erweiterung der Öffentlichkeit, die den Angeklagten zum Schauobjekt machen würde, ließe sich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Angeklagten nicht vereinbaren.

Gerade Journalisten sind besonders darauf angewiesen, persönlich an den Verfahren teilzunehmen, über die sie berichten wollen. In seiner Entscheidung über die Neuvergabe der Sitzplätze im NSU-Prozess hat das Bundesverfassungsgericht zwar ausdrücklich festgestellt, dass die vom OLG München favorisierte Lösung, die 50 für die Pressevertreter reservierten Sitzplätze nach dem Prioritätsprinzip zu vergeben, an sich rechtmäßig sei. Dann müsse aber auch dafür gesorgt werden, dass alle die gleichen Chancen haben. Diesen Grundsatz sah das Verfassungsgericht jedenfalls als so gefährdet an, dass es eine Neuvergabe der Sitzplätze für angezeigt hielt. Wäre es bei der Ausgangssituation geblieben, hätten türkischsprachige Medien keinen Platz erhalten, ihnen wäre die „Möglichkeit einer eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Berichterstattung“ verwehrt geblieben. Das wäre nicht zuletzt deswegen von besonderem Gewicht gewesen, als „gerade türkische Medienvertreter ein besonderes Interesse an einer vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess geltend machen können, da zahlreiche Opfer der angeklagten Taten türkischer Herkunft sind und in der türkischstämmigen Bevölkerung ebenso wie in der Türkei ein entsprechend großes Informationsbedürfnis besteht.“

Die teilweise vorgeschlagene Möglichkeit, das Verfahren vor dem OLG München gerichtsintern in einen anderen Raum zu übertragen, ist rechtlich sehr problembehaftet. Nach dem Wortlaut des § 169 S. 2 GVG ist sie zwar nicht verboten. Praktiziert werden kann die Übertragung in einen anderen Raum des Gerichts z.B. in Fällen, in denen der Angeklagte zum Schutz von Zeugen oder Mitangeklagten aus dem Gerichtssaal entfernt wird. § 247 StPOschreibt zwar nur vor, dass ein Angeklagter im Fall der Entfernung aus dem Gerichtssaal nach seiner Rückkehr über alles, was in seiner Abwesenheit stattgefunden hat, informiert werden muss. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann eine solche Unterrichtung allerdings auch durch eine simultane Videoübertragung erfolgen. Eine Verpflichtung dazu oder gar ein Anspruch darauf besteht allerdings nicht.

Das OLG München hat sich diesem Vorschlag versperrt, weil der Verteidigung möglichst wenige Ansatzpunkte zur Begründung einer Revision geboten werden sollen. Eine Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie einige Nebenkläger beantragt hatten, blieb erfolglos – allerdings weniger aus inhaltlichen als aus formalen Gründen. Das Verfassungsgericht musste sich nämlich schon deswegen nicht mit der eigentlichen Frage der Rechtmäßigkeit einer Videoübertragung in einen anderen Saal beschäftigen, weil die Nebenkläger als solche nicht befugt waren, eine Entscheidung über diese Frage herbeizuführen. Anders als die interessierte Öffentlichkeit müssen sie nämlich nicht befürchten, keinen Platz zu erhalten. Denn sie sind selbst Verfahrensbeteiligte mit eigenen Anwesenheitsrechten.

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