Insolvenzverschleppung

Hinweis: Ein ausführliches Skript zum Insolvenzstrafrecht von RA Dr. Tobias Rudolph steht zum Download zur Verfügung.

1) Insolvenzstraftaten

Vorwürfe wegen Insolvenzstraftaten machen einen großen Teil aller Wirtschaftsstrafverfahren aus. Etwa in jedem zweiten Fall von Unternehmensinsolvenz wird neben dem zivilrechtlichen Insolvenzverfahren ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Insolvenzgerichte sind dazu verpflichtet, einen Vorgang der Staatsanwaltschaft vorzulegen, wenn sich Anhaltspunkte aus der Akte ergeben, die den Verdacht einer Straftat im Vorfeld der Insolvenz begründen.

In den meisten Fällen richten sich die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung gegen die Geschäftsführer und/oder Gesellschafter einer GmbH. Deren gute Absicht und Hoffnung, das Unternehmen im Vorfeld der Insolvenz wieder in Schwung zu bringen, wird oft nicht honoriert. Im Gegenteil: Ist es erst einmal zu dauerhaften Zahlungsausfällen gekommen, ernten Praktiker des Wirtschaftslebens nicht immer Verständnis von Richtern und Staatsanwälten. Anders als die Kaufleute „an der Front“ beurteilen die Beamten die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit alleine auf dem Papier – und erst im Nachhinein, wenn alle klüger sind.

Für die betroffenen Unternehmensmitarbeiter kann eine Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat noch deutlich weitergehende Folgen haben. So besteht eine persönliche zivilrechtliche Haftung gemäß § 64 GmbHG für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Nach § 6 GmbHG kann eine Verurteilung wegen eines Insolvenzdelikts einer zukünftigen Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer entgegenstehen. Gewerbetreibenden droht der Entzug der Gewerbezulassung (vgl. § 35 GewO).

Insolvenzverwalter haben ein besonderes Augenmerk auf insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche. Ist zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags nur noch wenig Vermögen bei dem Unternehmen vorhanden, droht eine Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse. Ein Insolvenzverfahren wird in solchen Fällen erst dann möglich, wenn es dem Insolvenzverwalter gelingt, nachzuweisen, dass Anfechtungsansprüche bestehen, d.h. im Zeitraum vor der Insolvenz beispielsweise Forderungen bezahlt wurden, die nicht mehr hätten bezahlt werden dürfen. Die Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Anfechtung überschneiden sich zum großen Teil mit den Tatbestandsvoraussetzungen der strafrechtlichen Insolvenzdelikte. Aus diesem Grund wirken Insolvenzverwalter nicht selten auf die Durchführung eines Strafverfahrens gegen die Geschäftsführer und/oder Gesellschafter des insolventen Unternehmens hin.

2) Insolvenzverschleppung: § 15a Insolvenzordnung

Der häufigste strafrechtliche Vorwurf im Zusammenhang mit der Krise eines Unternehmens ist der Vorwurf der Insolvenzverschleppung gemäß § 15a InsO. Dieser Tatbestand ist schnell erfüllt, denn ein Geschäftsführer ist innerhalb einer sehr kurzen Frist von drei Wochen nach den ersten Anzeichen einer dauerhaften unternehmerischen Krise dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, bestehen erhebliche Strafbarkeitsrisiken. Damit einher geht meist die Gefahr einer existenzbedrohenden zivilrechtlichen Haftung.

Voraussetzung für die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, ist die sogenannte Insolvenzreife. Diese liegt vor, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist.

Überschuldung wird angenommen, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (vgl. § 19 Abs. 2 InsO).

Die Definition des Begriffs der Überschuldung wurde im Jahr 2012 angesichts der Wirtschaftskrise neu gefasst. Nach der aktuellen Gesetzesfassung kann eine sogenannte positive Fortführungsprognose dazu führen, dass Überschuldung wirtschaftlich verneint wird, obwohl die Bilanz formal bereits negativ ist. Es kommt also für die Überschuldung auf die Prognose an, ob das Unternehmen in der Lage sein wird, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ausreichend Geld zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen zu beschaffen.

Dadurch, dass auf wirtschaftliche Maßstäbe abgestellt wird, ergeben sich in der Praxis oft erhebliche Unsicherheiten, die sich – je nach Perspektive und Verfahrenslage – zum Vor- oder zum Nachteil eines in Visier geratenen Geschäftsführers auswirken können.

Besonderes Augenmerk ist bei der rechtlichen Diskussion einer Überschuldung darauf zu legen, ob alle Gegenstände, die nach Handels- oder steuerrechtlichen Bilanzvorschriften nicht aktivierbar sind (beispielsweise materielle Wirtschaftsgüter) bei der insolvenzrechtlichen Forderungsaufstellung berücksichtigt wurden. Häufig führen verschiedene Bewertungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hinzu kommen weite Beurteilungsspielräume bei der Bewertung von stillen Reserven, Rangrücktrittserklärungen, Forderungsverzicht oder Patronatserklärungen.

Für die Verteidigung bietet sich insbesondere durch den Umstand ein weiter Spielraum, dass ein Geschäftsführer häufig nicht alle Fakten kennt, die der Unternehmensbewertung zugrunde liegen.

Zahlungsunfähigkeit liegt nach der gesetzlichen Definition vor, wenn ein Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Sie wird in der Regel angenommen, wenn ein Unternehmen seine Zahlungen eingestellt hat. Von der Zahlungsunfähigkeit ist die bloße Zahlungsstockung abzugrenzen, d.h. der kurzfristig behebbare Mangel an flüssigen Mitteln. Bei der Abgrenzung ist zu prüfen, ob die Zahlungsfähigkeit beispielsweise durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen wieder hergestellt werden kann.

3) Fazit

Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Hintergründe, insbesondere der sogenannten Insolvenzreife, kommt es im Insolvenzstrafrecht auf eine ganze Reihe von Umständen an. Wirtschaftsstrafverteidiger, die im Insolvenzstrafrecht tätig werden, müssen über profunde Kenntnisse des Zivil- und Handelsrechts sowie des Steuerrechts verfügen, um die Sachverhalte angemessen aufarbeiten zu können.

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