Absprachen und „Deals“ im Strafprozess

Point of no return

Der moderne Strafprozess wird von sogenannten „Verständigungen“ geprägt. Strafverteidiger, Staatsanwälte und Gerichte fühlen sich oft wohler, wenn man die wesentlichen Aspekte eines Falles im Vorfeld in kleiner Runde schon einmal besprochen hat. Man weiß dann, was in der öffentlichen Hautverhandlung auf einen zukommt.

Für den Angeklagten hat so eine Absprache den Vorteil, dass auch er im Wesentlichen weiß, worauf er sich einstellen muss.

Eine Gefahr bei Absprachen liegt darin, dass diese nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen führen. Manchmal macht es Sinn, wenn der Verteidiger dem Richter ein Geständnis ankündigt – beispielsweise für den Fall, dass das Gericht eine Bewährungsstrafe zusichert. Problematisch wird es, wenn das Gericht an eine Freiheitstrafe von mehreren Jahren gedacht hat, sich aber bislang nicht ganz sicher war, ob die Beweislage für eine Verurteilung reicht. Richter sind auch nur Menschen. Sobald sie erfahren haben, dass ein Geständnis im Raum steht, wird ihre Motivation, nach einer gescheiterten Absprache in akribischer Kleinarbeit einen Freispruch zu begründen, gering sein. Kam es einmal zu Verständigungsgesprächen ist es daher nicht einfach, so zu tun, als ob die Möglichkeit eines Geständnisses noch nie im Raum stand. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von dem „point of no return“. Das bedeutet: Verständigungsgespräche wirken im Strafprozess immer irgendwie nach – selbst dann, wenn es zu keiner Einigung kommt.

Eine noch größere Gefahr der „Deal-Praxis“ liegt darin, dass ein Unschuldiger unter Druck geraten könnte, ein falsches Geständnis abzugeben. Der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht bemühen sich seit Jahren darum, diese Gefahr einzudämmen. Die Kluft zwischen der Strafe eines geständigen Angeklagten und der Strafe eines nicht geständigen Angeklagten (sog. „Strafrahmen-Schere“) darf nicht zu groß werden.

Ein Fall, im dem der faktische Druck auf einen Angeklagten, ein Geständnis abzulegen, bedenklich war, ist hier dokumentiert.

Eine Verteidigungs-Strategie, die auf ein Geständnis im Rahmen einer Absprache abzielt, ist oft sinnvoll, jedoch keine Allzweck-Waffe. Letztlich ist es wie so oft eine Einzelfall-Entscheidung, ob diese Strategie für einen Angeklagten richtig ist. Sie setzt Erfahrung, Einfühlungsvermögen und einen sicheren Umgang mit den Werkzeugen der Strafprozessordnung voraus.

Ist man an Absprachen gebunden?

Im Jahr 2009 wurde zentrale Norm über Verständigungen in die Strafprozessordnung eingefügt: § 257c StPO. Dieser sieht nur eine Bindung des Gerichts vor. Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Angeklagter sind an Verständigungen jedenfalls nicht gebunden. Ein Richter kann nicht gezwungen werden, sich zu verständigen. Überhaupt kann das Gericht nur an das gebunden sein, was rechtlich zulässig ist.

Wird etwas vereinbart, das gar nicht vereinbart werden darf, tritt insoweit keine Bindungswirkung ein. Auch sieht § 257c Abs. 4 StPO mehrere Möglichkeiten vor, die eine einmal eingetretene Bindung wieder entfallen lassen.

Das Gesetz formuliert das Wegfallen der Bindung folgendermaßen:
„Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist.“

Stellt sich nach einer Absprache heraus, dass das zum Gegenstand der Verständigung gemachte Geständnis des Angeklagten falsch war, kann der Verteidiger das Gericht nicht mehr an dem festhalten, was für den Fall des Geständnisses vereinbart wurde. Fällt aber die Bindung des Gerichts weg, nachdem der Angeklagte ein „echtes“ Geständnis abgegeben hat, soll es nicht verwertbar sein. Es soll nicht zu seinen Lasten verwendet werden dürfen.

In der Praxis dürfte es spätestens dann auch um die Unvoreingenommenheit des Gerichts geschehen sein. Das Gericht muss im Fall einer Verurteilung lediglich darauf achten, das Geständnis in den schriftlichen Urteilsgründen nicht zu erwähnen. Derartige Verwertungsverbote sind daher eher von theoretischer Bedeutung als verlässliches Werkzeug einer wohl durchdachten Verteidigungsstrategie.

Die Bindung an die Verständigung kann unter Umständen auch dann entfallen, wenn der Angeklagte sich nicht so verhält, wie er es zugesichert hatte. Besteht er etwa darauf, bestimmte Punkte durch Beweisanträge klären zu lassen, obwohl er dem Gericht vorher erklärt hat, darauf zu verzichten, kann eine Verständigung wirkungslos werden.

Bei der Regelung zur Verständigung handelt es sich nicht nur um eine recht neue, sondern auch um eine der umstrittensten Normen in der StPO überhaupt. Vieles ist im Detail noch unklar und umstritten, so dass es noch einiger höchstrichterlicher Entscheidungen bedürfen wird, bis endgültig Rechtssicherheit herrscht.

Im März 2013 erging eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der gesetzlichen Regelung über Absprachen im Strafprozess. Einige der wichtigsten Fragen sind seitdem geklärt. In den Details herrscht in der Praxis gleichwohl nach wie vor eine große Verunsicherung.

Absprachen (Deals) im Strafprozess

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