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Ärztefortbildungen geraten mehr und mehr in den Fokus von Ermittlungsbehörden. Nur weil eine Handlung standesrechtlich erlaubt ist, heißt das noch nicht, dass sie auch (korruptions-)strafrechtlich unproblematisch ist. Umgekehrt führt längst nicht jeder Verstoß gegen Standesrecht auch zu einer Straftat.

Neue Straftatbestände §§ 299a und 299b StGB

Die neu eingeführten Straftatbestände zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen (§ 299a und § 299b StGB) bringen große Verunsicherung mit sich. Sowohl bei den Akteuren im Gesundheitswesen, wie Ärzten, Krankenhäusern, Pharmaunternehmen, als auch bei ihren rechtlichen Beratern, sei es von Verbänden oder von Rechtsanwälten. Bislang sind, trotz eigens eingerichteter Schwerpunktstaatsanwaltschaften, wegen der neu eingeführten Straftatbestände nur sehr wenige Ermittlungsverfahren anhängig. Es fehlt in Folge dessen an obergerichtlichen Entscheidungen. Deshalb ist noch nicht absehbar, welche Linien sich bei Ermittlungsbehörden und Gerichten herausbilden.

Das ist für neu eingeführte Straftatbestände nichts Ungewöhnliches. Bei §§ 299a und 299b StGB besteht allerdings die Besonderheit, dass mögliche Verurteilungen sehr schnell berufsrechtliche Folgen nach sich ziehen und auch Ermittlungsmaßnahmen – man denke nur an Praxisdurchsuchungen – sehr schnell die berufliche Existenz eines Beschuldigten beeinträchtigen können. Es ist daher nachvollziehbar, dass nach Leitlinien gesucht wird, um die Grenzen der neuen Straftatbestände greifbarer zu machen. Sehr häufig wird dabei auf die Regeln der (Muster-)Berufsordnung rekurriert. Compliance-Richtlinien von Kliniken etwa nehmen häufig direkt oder indirekt darauf Bezug.

Eine unreflektierte Übernahme der berufsrechtlichen Regelungen ist jedoch nicht ohne Risiko. Einerseits sind die berufsrechtlichen Regelungen enger, andererseits aber sogar weiter als die strafrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen.

Ausgangslage

In der Vergangenheit haben es Ärzte oft schlicht und ergreifend übertrieben. Pharmafirmen haben Tagungen an typischen Urlauborten veranstaltet und dabei nicht nur die Reise- und Übernachtungskosten des Arztes, sondern auch die seiner gesamten Familie, übernommen. Die eigentliche Fortbildungsveranstaltung diente lediglich als Feigenblatt, um die offenkundige persönliche Bereicherung zu verdecken.

Selbstverständlich hat der Gesetzgeber nichts gegen Ärztefortbildungen. Im Gegenteil, es ist ausdrücklich erwünscht, dass Ärzte auf dem aktuellen medizinischen Stand bleiben. Die Existenz von „St. Moritz-Fortbildungen“ hat die Einführung der neuen Korruptionstatbestände aber sicherlich befördert.

Bereits vor Einführung der neuen Strafnormen waren die Grenzen des Fortbildungssponsorings standesrechtlich geregelt. § 32 Abs. 2 der Musterberufsordnung (MBO) lautet: „Die Annahme von geldwerten Vorteilen in angemessener Höhe ist nicht berufswidrig, sofern diese ausschließlich für berufsbezogene Fortbildung verwendet werden. Der für die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltung gewährte Vorteil ist unangemessen, wenn er über die notwendigen Reisekosten und Tagungsgebühren hinausgeht.“

Diese Regelung hatte der Gesetzgeber bei der Einführung der §§ 299a, b StGB durchaus im Blick. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung nimmt darauf ausdrücklich Bezug (vgl. BT Drs. 18/6446, S. 18, 22). Der Gesetzgeber will an sich nicht über die standesrechtlichen Vorgaben hinausgehen. Oder anders formuliert: Fortbildungen, die standesrechtlich zulässig sind, sollen nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Aber steht das auch tatsächlich so im Gesetz?

Fortbildung und § 299a StGB

Der neu eingeführte § 299a StGB ist u.a. erfüllt, wenn ein Arzt in Zusammenhang mit seiner Berufsausbildung einen Vorteil von einem Dritten – etwa einem Pharmaunternehmen – annimmt und ihn dann gegenüber dessen Mitbewerbern bei der Verordnung von Arzneimitteln oder anderen Medizinprodukten in unlauterer Weise bevorzugt.

Ein Hinweis auf Standesrecht ist in der Strafnorm gerade nicht enthalten. So sind Fälle denkbar, in denen zwar die standesrechtlichen Vorgaben eingehalten worden sind, aber gleichwohl der Straftatbestand erfüllt worden ist. Wenn etwa ein Arzt ein Medikament nur deshalb verordnet, weil er das Buffet bei der Fortbildungsveranstaltung so gut fand, steht ein Verstoß gegen § 299a StGB im Raum – auch wenn die Grenzen des § 32 Abs. 2 MBO nicht überschritten worden sind. Umgekehrt sind Fälle vorstellbar, die klar gegen die Grenzen des § 32 Abs. 2 MBO verstoßen, den Straftatbestand des § 299a StGB aber dennoch nicht verletzten. Der Arzt, der an einer „Mallorca-Fortbildung“ teilnimmt, das fortbildungsfinanzierende Pharmaunternehmen aber nachweislich nicht bevorzugt, macht sich nicht strafbar. – Erlangt ein Staatsanwalt von der Teilnahme an einer derartigen Fortbildung Kenntnis, wird er vermutlich gleichwohl eine Bevorzugung unterstellen. Zumindest ein Anfangsverdacht, der für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreicht, lässt sich begründen. Und selbst wenn der Verdacht ausgeräumt werden kann, bleibt die Teilnahme an einer offensichtlichen Freizeitfortbildung standesrechtswidrig. Von einer Teilnahme ist daher in jedem Fall abzuraten.

Folgen für Praxis und Beratung

Zwar wäre eine Orientierung alleine an den standesrechtlichen Vorgaben zu kurz gegriffen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die berufsrechtlichen Vorgaben keine Bedeutung haben. Im Gegenteil: Es ist außerordentlich sinnvoll, sie zu beachten. Denn hält man die dort vorgegeben Grenzen ein, hat man jedenfalls die Gesetzesbegründung auf seiner Seite. Wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, obwohl die standesrechtlichen Vorgaben beachtet worden sind, hat man gute rechtliche Argumente, um auf eine Einstellung hinzuwirken.

Im Rahmen einer Präventivberatung sollte aber – jedenfalls dann, wenn eine „Best Practice-Strategie“ gewünscht ist – in Erwägung gezogen werden, strengere Vorgaben zu empfehlen. Denn ein Anfangsverdacht ist sehr schnell begründet.

Um einen Anfangsverdacht möglichst zu vermeiden, müssen Fortbildungsteilnahme und Verordnungspraxis unbedingt dokumentiert werden. Es kann gute – z.B. medizinische oder wirtschaftliche – Gründe für die Bevorzugung eines Produkts geben. Wenn ein Arzt an der Fortbildung eines Medizinprodukte- oder Pharmaunternehmens teilgenommen hat, sollte daher genau dokumentiert werden, aus welchen Gründen ausgerechnet die Produkte dieses Herstellers verwendet werden.

Es liegt auf der Hand, dass ein Berater, der einen Arzt auf diese Dokumentationspflichten hinweist, mit dem Einwand des gesteigerten bürokratischen Aufwands konfrontiert wird. Berechtigt ist der Einwand aber nicht. Denn der Arzt hat die Wahl, auf welche Weise er das Strafbarkeitsrisiko vermeiden kann: entweder nimmt er die Mühen eines erhöhten Dokumentationsaufwandes auf sich, um im Zweifelsfall vollständige Transparenz herstellen zu können, oder er verzichtet auf die Zuwendung und trägt seine Fortbildungskosten selbst.

Prognose und Fazit

Das Strafbarkeitsrisiko besteht nicht nur für Ärzte, die unredliche Vorteile annehmen, sondern über § 299b StGB auch für Pharmaunternehmen, die unredliche Vorteile gewähren. Es ist davon auszugehen, dass die Unternehmen ihre Praxis, fragwürdige Fortbildungen zu finanzieren, ebenfalls auf den Prüfstand stellen werden. Fortbildungen, bei denen der touristische Aspekt im Vordergrund steht, werden über kurz oder lang nicht mehr angeboten werden. Mittelfristig werden Fortbildungsveranstaltungen damit auch wieder aus dem Fokus der Ermittlungsbehörden verschwinden.

Bis es soweit ist, ist gerade im Zusammenhang mit Fortbildungen darauf zu achten, die nötige Transparenz walten zu lassen und Verordnungen entsprechend zu dokumentieren. Sobald Zweifel an der Zulässigkeit einer Fortbildungsveranstaltung bestehen, kann nur geraten werden, besser auf die Teilnahme zu verzichten.

Umgekehrt sollte die Bedeutung der standesrechtlichen Vorgaben bei der Verteidigung im Ermittlungsverfahren nicht überhöht werden. Versuchen von Ermittlungsbehörden, die neuen Straftatbestände im Sinn von „Standesrechtsverstoß = Straftat“ auszulegen, ist entschieden entgegenzutreten.

Medizinstrafrecht / Wirtschaftsstrafrecht

Traditionell waren sogenannte „Schein-Selbständige“ vor allem im Transportsektor oder auf dem Bau zu finden. In letzter Zeit fokussieren sich die Ermittler jedoch auch auf hochqualifizierte Kräfte. Ärzte, OP-Schwestern und andere Fachkräfte, die auf Honorar-Basis in Kliniken tätig sind, sollten daher die gewählten Gestaltungen rechtlich überprüfen lassen.

Auf staatlicher Seite sind für die Ermittlungen im Bereich der „Schwarzarbeit“ nicht nur die Sozialversicherungsbehörden eingebunden. Bei den Hauptzollämtern sind Spezialabteilungen angesiedelt, die sich ausschließlich um Fälle potenzieller Schein-Selbständigkeit kümmern. Besteht der Verdacht der Hinterziehung oder Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen, wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Gründe für den Einsatz von Honorarkräften

Die Ersparnis von Sozialversicherungsbeiträgen ist nur ein möglicher Grund, Honorarkräfte anstelle von festangestellten Arbeitnehmern zu beschäftigen. Die Motivlage kann vielfältig sein. Gerade im Krankenhaus-Bereich kann es in sensiblen Abteilungen zu plötzlichen Personalengpässen kommen, sei es durch unerwartete Kündigungen, plötzliche Krankheiten oder aufgrund von Schwangerschaften. Häufig kann akuter Personalbedarf nicht kurzfristig am Arbeitsmarkt gedeckt werden, zumal jedenfalls in den schwangerschafts- und krankheitsbedingten Fällen von Personalmangel auch nur vorübergehende Lösungen gesucht werden und entsprechende Stellen nur befristet zur Verfügung stehen. Gerade Stellen für Fachkräfte können häufig nicht – und schon gar nicht kurzfristig – besetzt werden.

In solchen Fällen greifen Kliniken gerne auf – potenziell selbstständige – Honorarkräfte zurück. In den meisten Fällen werden die Honorarkräfte von entsprechenden Agenturen vermittelt. Für die Klinik ist die Honorarkraft in aller Regel teurer. Selbst wenn zunächst einmal keine Sozialversicherungsbeiträge für die Honorarkraft bezahlt werden, liegen die Stundensätze deutlich über dem, was eine tarifvertraglich beschäftigte Kraft erhalten würde. Außerdem erhalten die Vermittlungsagenturen in aller Regel eine Provision, die zusätzlich zu berücksichtigen ist. Spontaneität und Flexibilität haben eben ihren Preis.

Scheinselbstständigkeit

Was macht die auf Basis eines Honorarvertrags beschäftigte OP-Schwester zur Scheinselbständigen?

Die Anforderungen, die eine Arbeitskraft erfüllen muss, um als selbstständig zu gelten, sind branchenunabhängig. Es sind stets dieselben Parameter zu berücksichtigen. Für die Beurteilung, ob eine selbstständige oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt, kommt es etwa darauf an, inwieweit die eingesetzten Personen hinsichtlich ihrer Arbeitszeit, ihres Arbeitsortes, der Art, Dauer und Ausführung ihrer Tätigkeit weisungsgebunden sind oder inwiefern sie in eine größere Struktur eingebunden werden. Bei der Prüfung, ob Selbstständigkeit vorliegt, wird u.a. darauf geachtet, ob die Honorarkraft ihrerseits eigene Angestellte hat, ob sie eigenes Arbeitsgerät verwendet oder eigene Arbeitskleidung trägt. Kriterien sind weiterhin, ob ein Gewerbe angemeldet ist, eine eigene Berufshaftpflichtversicherung besteht oder ob die Aufnahme der Tätigkeit der Berufsgenossenschaft mitgeteilt wurde.

Nur in seltenen Fällen werden Honorarkräfte alle Kriterien erfüllen. Wenn es an einzelnen Kriterien fehlt, muss jedoch nicht zwingend Scheinselbstständigkeit vorliegen. Es kommt stets auf eine Gesamtschau an.

Scheinselbstständige im Klinik-Sektor

Je nachdem, wie die Gesamtschau ausfällt, handelt es sich bei der Honorarkraft um einen selbstständigen oder einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer. Die finanziellen Auswirkungen der Einstufung können für eine Klinik beträchtlich sein. Gerade, wenn mehrere Honorarkräfte über einen längeren Zeitraum beschäftigt werden – was in größeren Krankenhäusern regelmäßig der Fall sein wird – kann die Nachforderung der Sozialversicherungsabgaben schnell einen sechsstelligen Betrag ausmachen.

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Dimension überrascht es nicht, wenn entsprechende Beurteilungen durch den Sozialversicherungsträger auch gerichtlichen Überprüfungen zugeführt werden. So sind in den letzten Jahren zahlreiche sozialgerichtliche Entscheidungen in diesem Kontext ergangen. Entsprechende Entscheidungen gibt es etwa vom SG Dortmund (Urteil vom 29.10.2013, Az. S 25 R 2232/12 und Urteil vom 20.02.2015, Az. S 34 R 2153/13), vom Hessischen LSG (Urteil vom 26.03.2015, Az. L 8 KR 84/13) oder vom LSG NRW (Urteil vom 26.11.2014, Az. L 8 R 573/12), vom Bayerischen LSG (Urteil vom 28.05.2013, Az. L 5 R 863/12) und vom LSG Niedersachen – Bremen (Urteil vom 16.12.2015, Az. L 2 R 516/14). Sämtliche Entscheidungen sind zu Lasten der Kliniken ergangen, die Honorarkräfte wurden in allen Fällen als abhängig Beschäftigte eingeordnet.

Aus der Vielzahl an Urteilen lässt sich aber zweierlei ablesen:

  1. Es handelt sich nicht um Einzelfälle.
  2. Jedenfalls für Zeiträume, die vor den ergangenen Urteilen liegen, muss man davon ausgehen, dass die Rechtslage auch bei Experten umstritten war.

Einige der Urteile liegen schon mehrere Jahre zurück. Gleichwohl wurde die Thematik von den Interessen- und Dachverbänden der Krankenhausträger erst relativ spät aufgegriffen. Zum Teil sind Mitteilungen über die sozialgerichtlichen Urteile erst Mitte 2015 in der einschlägigen Fachpresse erschienen.

Zusatzproblem: 266a StGB

Hat die sozialversicherungsrechtliche Einordnung der Honorarkräfte durch die Sozialgerichtsbarkeit für die Kliniken die unschöne Folge, dass zusätzlich zu den – ohnehin höheren – Honoraren Sozialversicherungsbeiträge nachentrichtet werden, ergibt sich ein zusätzliches Problem. Mit ähnlicher zeitlicher Verzögerung wie die Branchenverbände wurden die Ermittlungsbehörden auf die gewandelte sozialversicherungsrechtliche Einordnung aufmerksam. Es wurden bundesweit Ermittlungsverfahren gegen Klinik-Geschäftsführer eingeleitet, die in Einzelfällen auf sonstige Verantwortliche, etwa Compliance-Beauftragte oder Personaldienstleiter ausgeweitet wurden.

Ermittelt wird wegen eines Verstoßes gegen § 266a StGB – dem Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt. Die Strafnorm ist erfüllt, wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden. Für die Frage, ob Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen, ist die sozialversicherungsrechtliche Einordnung maßgeblich. Die Norm ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet. Wird eine Arbeitskraft als (sozialrechtlich) scheinselbstständig eingeordnet, hat das zur Folge, dass ein Verstoß gegen § 266a StGB im Raum steht.

Bei § 266a StGB handelt es sich um ein sogenanntes echtes Unterlassungsdelikt. Es wird also ein Nicht-Handeln unter Strafe gestellt, nämlich das Nicht-Abführen der an sich geschuldeten Sozialversicherungsabgaben. Wird später erkannt, dass ein Beschäftigter abhängig beschäftigt ist, sind die Sozialversicherungsbeiträge von Anfang an geschuldet.

Das strafrechtliche Risiko trifft zunächst die Klinikleitung, in aller Regel den Geschäftsführer. Die Hauptaufgabe eines Geschäftsführers ist es, die Klinik wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Die Beurteilung, ob alle Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungsrechtlich korrekt verortet sind, gehört regelmäßig nicht zu seinen Kernkompetenzen. Und gerade hier eröffnen sich Verteidigungsansätze. Denn selbst, wenn der objektive Tatbestand des § 266a StGB relativ leicht erfüllt ist, ist fraglich, ob Vorsatz vorlag. Voraussetzung dafür ist, dass die Arbeitgeberstellung der Klinik vom Vorstellungsbild des Geschäftsführers umfasst wird. Dazu genügt nicht die bloße Kenntnis der Tatsachen, vielmehr ist eine zutreffende rechtliche Bewertung nach Laienart zu verlangen. Es handelt sich bei der Frage, ob Arbeitgeber-/Arbeitnehmereigenschaft vorliegt um ein sogenanntes normatives Tatbestandsmerkmal. Wenn bereits unter Fachleuten lange Zeit umstritten war, wie ein Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungsrechtlich einzuordnen ist, kann selbst von einem geschäftserfahrenen Unternehmensleiter nicht erwartet werden, dass er eine zutreffende rechtliche Einordnung vornimmt. Abhängig von der Gestaltung des Einzelfalls ist zu diskutieren, ob ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB oder ein nicht vermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 StGB vorliegt. In beiden Fällen läge Straffreiheit vor.

Die Einlassung, dass die Verantwortlichkeit für Personalfragen nicht direkt beim Geschäftsführer liegt, ist nicht risikolos. Es gibt rechtlich keine Möglichkeit, die strafrechtliche Verantwortung komplett zu delegieren, es besteht zumindest eine Überwachungspflicht. Es ist im Rahmen der Verteidigung daher sorgfältig abzuwägen, ob die interne Geschäftsverteilung frühzeitig offengelegt werden soll. Einerseits besteht so eine brauchbarer Verteidigungseinsatz für den Geschäftsführer, andererseits erhöht man die Gefahr, weitere Mitarbeiter des Unternehmens, etwa den Personalleiter, in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen zu rücken.

Präventive Maßnahmen

Strafrechtliche Ermittlungen im Unternehmen sind stets eine Belastung für alle Betroffenen. Vernünftigerweise sind Strafbarkeitsrisiken daher bereits im Vorfeld zu vermeiden.

Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte bei fraglichen Beschäftigungsverhältnissen bereits im Vorfeld ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung durchführen. Diese kann rechtsverbindlich feststellen, ob Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind.

Fällt das Statusfeststellungsverfahren nicht wie gewünscht aus, drohen nicht nur Nachzahlungspflichten sondern auch strafrechtliche Ermittlungen. Gerade bei bereits beendeten Beschäftigungsverhältnissen besteht deshalb eine nachvollziehbare Versuchung, die Dinge auf sich beruhen zu lassen.

In Folge der zahlreichen sozialgerichtlichen Urteile werden die Honorarverträge bei Kliniken in größerem Umfang überprüft, sowohl sozial- als auch strafrechtlich. So ermittelt beispielsweise die Staatsanwaltschaft Düsseldorf derzeit in einem großen Verfahren gegen mehrere Dutzend Kliniken. Es ist davon auszugehen, dass auch andere Ermittlungsbehörden auf dieses Thema aufmerksam werden.

Wegen des drohenden Entdeckungsrisikos ist daher von einem einfachen Abwarten dringend abzuraten. Das Gesetz sieht zwar keine der steuerrechtlichen Selbstanzeige vergleichbare strafbefreiende Offenbarungsmöglichkeit vor – § 266a Abs. 6 StGB ist etwa nicht anwendbar, weil die Forderungen schon längst fällig sind. Eine umfassende präventive strafrechtliche Beratung kann jedoch in vielen Fällen helfen, Schlimmeres zu verhindern.

Die Grundproblematik der komplexen Wechselwirkung zwischen Straf- und Sozialrecht, die nicht immer auf den ersten Blick zu durchschauen ist, lässt sich argumentativ nutzbar machen. Hilfreich ist, wenn Überlegungen zur Arbeitgeber-/Arbeitnehmereigenschaft ordentlich dokumentiert worden sind. Kann man nachweisen, dass die Frage der abhängigen Beschäftigung nicht auf die leichte Schulter genommen wurde, sondern eine eigene Abwägung getroffen wurde und entsprechende Erkundigungen eingeholt worden sind, stellt sich die Frage, ob ein (Verbots-)Irrtum hätte vermieden werden können.

Opportunitätseinstellung

266a StGB schützt zwar in erster Linie das Interesse der Solidargemeinschaft. Es soll sichergestellt werden, dass die Zahlungspflicht in die Sozialkassen erfüllt wird. Reflexartig wird aber auch das Interesse der Arbeitnehmer geschützt.

Anders als Scheinselbständige aus anderen Branchen, haben Honorarkräfte im Klinikbereich in aller Regel kein Interesse, als Arbeitnehmer eingeordnet zu werden. Die Entscheidung, die Arbeitskraft selbständig anzubieten, erfolgt in aller Regel aus freien Stücken. Nicht selten geht der Wunsch, selbständig zu arbeiten, von der Honorarkraft selbst aus. Im Klinikbereich sind die Honorare, die im Rahmen einer (vermeintlich) selbständigen Tätigkeit erzielt werden, häufig deutlich über dem tarifvertraglichen Gehalt. Es liegen also gerade keine prekären Beschäftigungsverhältnisse vor, wie sie vom Gesetz verhindert werden sollen.

Wenn dazu noch „Schadenswiedergutmachung“ kommt, also wenn die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge nachentrichtet werden, sollte auf jeden Fall versucht werden, über die Möglichkeiten einer Opportunitätseinstellung, d.h. i.d.R. die Einstellung des Strafverfahrens gegen Geldauflage, zu diskutieren.

Auch hier gilt: Abwarten, bis ein fragwürdiges Beschäftigungsverhältnis entdeckt wird, ist die falsche Taktik. Der Verteidigungsspielraum ist bei einem kontrollierten „Ziehen der Reißleine“ deutlich größer.